Klingenfieber: Roman (German Edition)
ich ihn töten.«
»Dann wirst du aber auch gegen Neeva antreten müssen, denn sie beschützt ihn mit ihrem Leben.«
»Wir werden sehen, Junge. Wir werden sehen.«
Weil sie ihn jetzt wieder nur »Junge« genannt hatte, nach allem, was er erlebt und geleistet hatte, schoss er die nächsten vierzehn Pfeile daneben.
Der Rittrichter und seine fünf Verfechter hatten die Kutsche schon beinahe eingeholt gehabt, sich nur noch die Hälfte einer Stunde hinter ihr befunden, als sie ebenfalls von Waldmännern angegriffen wurden.
Der Angriff fand schon in den Randgebieten des Waldes statt. Die Kutsche war wegen der ihr innewohnenden Beutehaftigkeit von den Grünbemalten bis etwa zur Mitte vorgelassen worden, Reiter jedoch versuchten die Waldmenschen schon am Eingang abzuwehren.
Diesmal konnten sich die Verfechter aber endlich richtig bewähren. Sie bestanden diesen Kampf, ohne einen einzigen Mann zu verlieren, und machten ihrerseits mehr als zehn Gegner nieder. Der Rittrichter, der nun ein zuverlässigeres Pferd zugeteilt bekommen hatte als vormals, hieb ebenfalls wild nach links und nach rechts, war aber zu unkonzentriert, um Effekte zu erzielen. Das Klingentänzerinnenschwert lag ihm ungewohnt in der Hand. Bei einer besonders missglückten Bewegung fürchtete er sogar, es ließe ihn weiblich wirken.
Er konnte die Nähe zur Kutsche, zur Verfolgten deutlich spüren, und die Waldmenschen erschienen ihm wie lästiges Ungeziefer, das ihn nur unnötig aufhalten wollte. Er geriet in Schweiß, verlor aber wieder an Ansehen bei seinen Männern, die nicht begreifen konnten, warum sie mitten in ein gefährdetes Gebiet ritten und sechs Menschenleben aufs Spiel setzten, nur um einer einzigen Verbrecherin habhaft zu werden – die sich noch dazu offensichtlich auf einem Weg hinaus aus dem Land der Ratsrechtsprechung befand. Inwieweit die Gesetze des Hochadels überhaupt noch zuständig waren für die Offenen Länder, das wurde unter ihnen lebhaft diskutiert, während der Rittrichter sich nach dem Kampf den Schweiß abwaschen ging und sie ihn dabei bewachen mussten, weil sie sich noch immer mitten im Feindesland befanden.
Wenzent Vardrenken beschloss, die Waldgebiete zu umreiten. Er kannte das Ziel der Klingentänzerin. Rechtzeitig vor Brendin Grya würden sie sie nichtsdestotrotz aufs Neue eingeholt haben.
Die Verfechter murrten, dass der ganze Aufwand sich nicht lohne.
Vardrenken verachtete sie, ihre stupide Engstirnigkeit, ihren vollständigen Mangel an Vorstellungsvermögen, ihre zersetzende Haltung gegenüber seiner Person und seinem Rang. Er wünschte sie von Erenis’ Klinge hinweggefegt und wusste, dass es schon bald so weit sein würde. Er erinnerte sich an Ladiglea und ihre warme, weiche Leibesmitte und spürte so etwas wie träumerische Verliebtheit allen Klingentänzerinnen gegenüber. Wenn er Erenis erst gebrochen und unterworfen hatte, gab es in Brendin Grya sogar noch eine von ihnen: Hektei. Er fragte sich, ob sie hübsch war wie Erenis und Ladiglea. Ob dieser geheimnisvolle Lehrmeister seine Schülerinnen nach ihrem Aussehen ausgesucht hatte. Schmutzige Phantasien suchten ihn heim, von dem Lehrer und seinen emsigen, zu allem bereiten Schülerinnen, aber er versuchte diese Trugbilder zu verscheuchen, indem er seine Verfechter beim Tuscheln und Intrigieren beobachtete.
Sie ritten wie Sandteufel, wirbelten hohen Staub hinter sich auf.
Schließlich, es war zwischen der neunten und zehnten Station der Kutschenroute, sahen sie vor sich die Wolke, die das sechsspännige Gefährt verursachte. Die Pferde des Rittrichters und seiner Verfechter waren ziemlich am Ende, dennoch holten sie noch einmal das Letzte aus ihnen heraus, um zu der anderen Staubfahne aufzuschließen.
Weder Erenis noch Stenrei sahen die Reiter kommen, denn der Staub hinter der Kutsche verhinderte jegliche Sicht nach hinten. Plötzlich tauchten sie daraus hervor wie Fabelwesen mit langen, rauchschwelenden Reitumhängen, sechs Mann, drei links, drei rechts von hinten an der Kutsche vorbei.
Vardrenken erblickte Erenis ebenfalls erst, als er schon an der Kutsche vorüber war. Der Staub hatte vorher alles verdeckt, war wie Qualm und biss sich an allem fest. Aber da war sie. Zum dritten Mal begegnete er ihr nun. Sie saß nicht in, sondern auf der Kutsche. Als würde sie beschützen und »Geschosse ausführen« können, anstatt überallhin nur Unheil zu tragen. Oder um beweglich zu bleiben und fliehen zu können, anstatt sich im Inneren einkeilen zu lassen
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