Klingenfieber: Roman (German Edition)
Hund.
Das kam Stenrei furchtbar ungerecht vor. Immerhin maß sie sich immer Frau gegen Mann, Auge in Auge. Nur, wenn sie von einem ganzen Pulk bedrängt wurde, wie in Kuntelt, verlor sie die Übersicht und schlug wild um sich. Andererseits hatte sie auch in Kuntelt keine einzige Frau verletzt. Also hatte sie immer noch gewusst, was sie tat.
Wie erging es ihr jetzt? War sie verzweifelt? Haderte sie mit ihrem Schicksal? Machte sie sich aufs Sterben gefasst? Oder lächelte sie vor sich hin und wartete wie er auf die Dunkelheit, um einen Ausfall zu unternehmen?
Gerne hätte er sich jetzt mit ihr abgesprochen. Wie er sich am besten nützlich machen konnte, hätte er gefragt. Aber wie sollte er durch diesen Belagerungsring zu ihr durchbrechen? Und selbst wenn ihm das gelänge: Würde sie ihn nicht einfach nur einen Kopf kürzer machen, wenn er zu ihr durch ein Fenster stiege? Nichts anderes als dies hatte sie ihm gegenüber angekündigt.
Es gelang Stenrei ebenfalls nicht, sich in den Langhaarigen hineinzudenken. Dessen Stimme war immer gleich. Näselnd, schnarrend. Irgendwie gelangweilt. Wie von jemandem, der einfach nur eine Alltäglichkeit herunterspult. Würde so jemand überhaupt jemals die Nerven verlieren? Oder würde er die Klingentänzerin ganz aalglatt aushungern? Abwarten, bis sie von ganz alleine zusammenbrach?
Was, wenn er bei den Belagerern für Chaos sorgen würde? Indem er die Pferde vertrieb, zum Beispiel. Würde dies Erenis Gelegenheit geben, ins Dunkel der Nacht zu entwischen? Aber dann würde sie niemals erfahren, dass er es gewesen war, der ihr geholfen hatte. Und das war eigentlich, wenn er ehrlich zu sich selbst war, sein Hauptziel.
Es ging ihm nicht darum, sie zu retten. Schließlich wusste er nicht einmal, ob sie ein guter Mensch war oder ein abgrundtief böser.
Es ging ihm darum, diese hochmütige Schönheit dazu zu bringen, ihn anzuerkennen. Als gleichwertig. Als Mann. Und deswegen wollte er, dass sie in seiner Schuld stand. Sie war eine Kriegerin. Diese Frage allein, die Frage von Schuld und Ehre, würde sie nicht unbeantwortet lassen können.
Aber sein Dilemma war: Wenn sie jetzt getötet oder gefangen genommen wurde, nutzte ihm all sein Taktieren nichts mehr. Er musste ihr erst einmal aus dieser gefährlichen Situation heraushelfen, und zwar bedauerlicherweise, ob sie das nun mitbekam oder nicht.
Er lag und beobachtete. Beobachtete und grübelte. Zermarterte sich den Schädel, während Schmetterlinge um ihn herumtanzten, wie um seine Festgefressenheit zu verhöhnen.
Die Sonne sank so langsam, als tauchte sie durch Honig.
Was, wenn er abwartete, ob Erenis sich einfach selbst befreite? Wenn er auf ihre Gerissenheit und Kaltblütigkeit vertraute und ihr höchstens Hilfe aus dem Hintergrund leistete, indem er die Verfolger zusätzlich verwirrte?
Ohnehin stand für ihn fest, dass er niemanden verletzen durfte. Dass er sich allenfalls ein kleines bisschen ins Unrecht setzen wollte, zum Beispiel als ein Trottel, der unabsichtlich die Pferde in Panik versetzt hatte. Keinesfalls jedoch als ein Verbrecher oder auch nur als Erenis’ Verbündeter. Er wollte nicht in einem Kerker landen, sondern weiterhin dieser außergewöhnlichen Frau folgen können.
Die Sonne sank und sank und sank, als wollte dieses Sinken gar kein Ende mehr nehmen. Schatten wurden länger, aber dunkel wurde es noch lange nicht.
Der Langhaarige gab das Schnarren irgendwann auf und ging nacheinander zu allen seinen Männern, um ihnen Anweisungen zu erteilen. Dann schickte er einen von ihnen ins Dorf, um die anderen mit Proviant und Wasser zu versorgen.
Überhaupt, das Dorf.
Natürlich interessierten sich die Lichelner für das Geschehen. Es kam ja nicht jeden Tag vor, dass in einer Hütte am Dorfrand eine gesuchte Verbrecherin von einem Inspizientenkontingent aufgebracht wurde. Überall drückten sich Schaulustige herum. Stenrei musste sich inzwischen mehr vor denen verbergen als vor den Bütteln, denn die bewegten sich ja nicht mehr und versuchten auch gar nicht, noch näher heranzukommen. Die Schaulustigen jedoch schon.
Einmal wurde Stenrei gesehen, von einem rothaarigen Bengel. Der winkte ihm zu und ging weiter hinten ebenfalls in Lauerstellung. Stenrei schwitzte, so lächerlich kam ihm das alles kurzzeitig vor. Dann aber wurde der Bengel von seiner Mutter heimgerufen. Immerhin.
Als endlich der Abend zu dämmern begann und das Tagwerk der Dörfler beendet war, musste der Langhaarige aber tatsächlich einen seiner
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