Klingenfieber: Roman (German Edition)
bemerkte ihn. Er fühlte sich schon beinahe wie ein Söldner, der hinter feindlichen Linien einen gefährlichen Einsatz durchführte. Sein Gemütszustand pendelte gerade etwas haltlos zwischen Erschrecken, furchtsamer Angespanntheit und Triumphgefühlen hin und her. So wand er sich wie eine Schlange am innersten der Belagerer vorbei, erreichte, durch Buschwerk gedeckt, das er aufgrund der Raschelgefahr nicht berühren durfte, die Hüttenwand, und schlängelte sich dort um eine Ecke herum, dann um noch eine, bis er die Hinterseite der Hütte erreicht hatte. Aus seiner langen Beobachtungsphase wusste er, dass nur drei der Büttel sich hinter der Hütte befanden, die übrigen alle vorne beziehungsweise seitlich.
Niemand hatte ihn bemerkt. Und das Schwert war auch noch in seinem Besitz. Wer wollte behaupten, dass er für derlei Unternehmungen nicht geschaffen war? Und immer noch beruhigte ihn der Gedanke, dass er, falls man ihn jetzt doch noch aufgriff, nichts verbrochen hatte. Mehr als eine Ermahnung konnte es ihm eigentlich nicht einbringen, aus Neugier einen Belagerungsring durchbrochen zu haben. Er war ja schließlich vor dem Gesetz noch ein Kind und würde das unschuldigste Gesicht der Welt aufsetzen. Einzig das Schwert war ein Problem, über das er jetzt nicht nachdenken wollte.
Er untersuchte die Hüttenwand. Wie er schon vom äußeren Anschein her erwartet hatte, war sie marode und bot einige Ritzen und Spalten. Spinnen hatten die Lücken mit dichten, waagerechten Netzen verhängt. Es gab mehrere Fenster, die kein Glas enthielten, sondern mit schweren hölzernen Läden verschlossen waren. Er fragte sich, warum die Büttel nicht aus allen Richtungen auf die Hütte vorrückten und einfach mit ihren Armbrusten ins Innere schossen, bis sie Erenis erwischt hatten. Oder weshalb sie nicht Feuer legten, um Erenis auszuräuchern. Hatte der Langhaarige den Auftrag, die Klingentänzerin unbedingt lebendig dingfest zu machen? Wahrscheinlich. Er hatte ja erklärt, ihr solle ein Prozess gemacht werden. Sie war also noch nicht zum Tode verurteilt.
Stenrei presste seinen Mund gegen eine der splitterigen Spalten und zischte nach drinnen: »Erenis? Erenis? Ich bin es, Stenrei aus Bosel. Ich kann dir helfen, wenn du mich lässt.«
Nichts kam von drinnen. Weder Licht noch ein Laut. Nicht einmal die Ahnung eines Atmens.
»Hörst du mich? Ich habe Gefahren auf mich genommen, um dir beistehen zu können. Und ich kann dir wirklich helfen. Zum Beispiel weiß ich genau, wo sie sich verschanzt haben.«
Immer noch Stille.
»Erenis? Hörst du mich? Ich bin es, Stenrei, du kennst mich doch!«
Jetzt ein Verlagern. Ein Körper bewegte sich. Und dann ihre Stimme, ganz nahe an der Ritze, durch die er wisperte: »Schon wieder du, Junge? Haben die Büttel dir eine Münze gegeben, damit du mich in den Wahnsinn treibst?«
»Ich habe mit den Bütteln nichts zu schaffen. Sie wissen gar nicht, dass ich hier bin, ich habe mich an allen vorbeigeschlichen. Lass mich durch ein Fenster rein, dann unterbreite ich dir meinen Plan.«
Sie seufzte, als hätte sie nicht die geringste Lust, überhaupt mit ihm zu reden. Stenrei brach überall Schweiß aus. Hoffentlich hörten die Büttel ihn nicht wispern. Der Nachtwind raschelte nicht unablässig mit Zweigen und Blättern.
»Warum sollte ich dir vertrauen?«, fragte die Stimme der Frau, heiser und müde.
»Du willst hier doch lebend wieder rauskommen, oder?«
»Ich werde hier lebend wieder rauskommen.«
»Und wie willst du das anstellen?«
»Sie kommen rein und ich töte sie alle, oder ich gehe raus und töte sie alle.«
Stenrei schluckte. »Das kannst du vergessen. Sie werden nicht reinkommen, denn sie wollen dich aushungern. Dieser Langhaarige scheint kein Draufgänger, sondern eher ein sehr bedächtiger Mensch zu sein. Und wenn du rausgehst, knallen sie dich mit ihren Armbrusten nieder. Ich habe vier zählen können, vielleicht haben sie aber sogar noch mehr.«
»Fernwaffen? Ich hasse diese Dinger.«
»Ja. Weil sie ohne Ehre sind, nicht wahr? Lass mich rein, durch das Fenster über mir, aber leise. Und erzähl mir nicht, dass zu zögerst, weil du befürchtest, ich könnte dir etwas antun. Das würde ja bedeuten, dass du mich für stärker einschätzt als dich selbst.«
»Du raubst mir meinen Schlaf, das ist schon schlimm genug.«
Jetzt wartete Stenrei mit klopfendem Herzen darauf, ob er mit seiner letzten Frechheit vielleicht zu weit gegangen war. Aber er hatte es wagen müssen. Jeder Moment,
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