Klingenfieber: Roman (German Edition)
sich hier abspielte. Mit Schwert jedoch war er Gegner, Dieb, Mörder, Erenis’ möglicher Verbündeter, alles dies. Das Letzte in dieser Liste bewog ihn dazu, es noch in seiner Hand zu belassen.
Auf dem Bauch robbte er eine ganze Feldlänge voran, bis er die Worte des Langhaarigen hören konnte. Die Stimme klang näselnd, beinahe singend:
»… haben es nicht eilig, denn die Rechtschaffenheit steht auf unserer Seite. Wir können tagelang hier ausharren und uns stetig an neuem Proviant delektieren, du aber wohl schwerlich, mein Mädchen. Also gib auf, lege dein Schwert nieder, komm mit erhobenen Händen heraus, und ich garantiere dir bei meinem Namen, dass wir dich festsetzen und einer ordentlichen Gerichtsbarkeit in einer Niederstadt überführen werden, damit dir auch durch das aufgebrachte Dorfvolk kein Leid geschehen kann. Du sollst Gelegenheit erhalten, deine Sache vorzutragen, und Zeugen aus den Dörfern sollen für und wider dich aussagen dürfen. Und sollte es sein, wie du behauptet hast, dass jeder, der gegen dich antritt, das freiwillig tut und eine angemessene Gewinnaussicht besitzt, so wird dir womöglich nicht mehr als eine Münzstrafe aufgrund öffentlicher Ruhestörung zuteilwerden.«
Aufgebrachtes Dorfvolk ? Hatte Erenis auch in Licheln bereits ein Opfer gefunden?
Was der Langhaarige als Nächstes sagte, riss der Wind hinfort.
Stenrei fluchte leise.
Sie hatten sie. Neun Mann. Das konnte sie nicht schaffen, oder? Selbst eine Klingentänzerinnicht.
Aber würde sie sich einfach so ergeben? Wohl kaum. Sicherlich würde sie noch einen Ausfall wagen.
Er versuchte zu erkennen, ob die Büttel und Inspizienten über Fernwaffen verfügten. Und tatsächlich: Mindestens vier von ihnen hatten Armbruste auf ihre Deckungen gestützt und warteten also nur darauf, dass die Umzingelte etwas Unüberlegtes tat. Erenis hatte keine Chance. Nicht mit dem Schwert gegen vier Armbruste.
Stenrei fluchte schon etwas lauter.
Was konnte er tun? Konnte er überhaupt irgendetwas unternehmen? Er allein gegen neun?
Natürlich nicht mit Kampf. Ihm stand auch gar nicht der Sinn danach, sich so direkt mit der Obrigkeit anzulegen. Weshalb sollte er das auch tun? Erenis verachtete ihn ohnehin nur.
Aber vielleicht gab es eine List. Da die neun nur auf die Hütte achteten, in der die Frau sich verkrochen hatte, und nicht auf das, was hinter ihnen vor sich ging. Da überhaupt niemand mit jemandem wie ihm rechnete.
Aber alles war zu hell und zu offen. Solange die Sonne noch schien, ging gar nichts.
Stenrei beschloss, das Schicksal auf die Probe zu stellen. Sollte sich bis zum Einbruch der Dunkelheit an dieser Belagerungssituation nichts Grundlegendes geändert haben, würde er versuchen, etwas zu unternehmen. Er wusste noch nicht genau, was, hatte nur einige vage Ideen. Die Pferde und die Hütte schienen ihm die alles entscheidenden Punkte in der Anordnung zu sein. Aber bis zum Einbruch der Dunkelheit blieben ihm ja noch einige Stunden, sich etwas Gutes einfallen zu lassen.
Diese Stunden vergingen. Langsam, langsamer als sonst, so kam es ihm vor.
Mehrmals pirschte er noch ein Stückchen näher heran. Nutzte die Blumen als Deckung. Aß von seinem Proviant. Döste sogar ein wenig, gut zwischen duftenden und insektenschwirrenden Hecken verborgen, und bildete sich ein, vom Lärm wach zu werden, falls sich etwas ereignen sollte.
Immerhin regnete es nicht. Das wäre sonst ungemütlich geworden, ohne Unterstand. So jedoch fühlte er sich körperlich erstaunlich wohl. Gespannt. Abenteuerlich. Von dem Schwert an seiner Seite konturiert.
Er beobachtete die Belagerer. Sie veränderten ihre Positionen nicht mehr, hatten sich – ebenso wie er – so behaglich wie möglich verschanzt. Mehrmals redete der Langhaarige noch auf Erenis ein, aber es war immer dasselbe: Sie solle sich ergeben, dann würde ihr ein gerechter Prozess gemacht, bla, bla, bla. Erenis antwortete kein einziges Mal. Stenrei glaubte, ihre Taktik verstehen zu können: Irgendwann würden den Belagerern die Nerven durchgehen, sie würden sich der Hütte annähern, um zu schauen, ob Erenis nicht vielleicht durch einen Kellertunnel oder etwas Ähnliches längst entkommen war, und dann konnte sie einen von ihnen als Geisel in ihre Gewalt bringen und sich ihre Flucht erpressen. Das würde aber nicht gut gehen, denn auf dieser Flucht konnten sie ihr mit ihren Armbrusten bequem in den Rücken schießen. Sie würden die Klingentänzerin niederbolzen wie einen tollwütigen
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