Klingenfieber: Roman (German Edition)
preisgegeben hatte, hielt er es für eine gute Idee, sie in dieser Hinsicht nicht überzustrapazieren. Sie konnte doch morgen weitererzählen oder übermorgen – wann immer es ihr passte, würde er ihr ein gelehriger Zuhörer sein.
»Übrigens kann ich dir Schreiben beibringen, falls du das möchtest«, wechselte er das Thema. »Wir könnten zum Beispiel üben, wenn wir frühstücken oder zu Abend essen.«
»Damit die Bauerntölpel über mich lachen«, sagte sie wenig begeistert.
»Ach die! Die meisten können es doch selbst nicht. Mein Vater musste es können, weil er zum Errichten und Ausbessern von Häusern auch Rechnen und ein bisschen Zeichnen können musste, also hat er mir alles beigebracht. Aber die meisten können höchstens ihren Namen, damit sie belegen können, dass sie ihren Zehnten bezahlt haben.«
Sie sprachen nicht weiter, denn Wegweiser zeigten ihnen auf, dass Kellerem nicht mehr weit war. Stenrei wusste immer noch nichts über Erenis’ Gründe, von Dorf zu Dorf zu ziehen, um dort den Tod zu bringen, aber er dachte jetzt an blaue Bänder aus Stoff und Leder, und bildete sich ein, dass ein Bild sich langsam vervollständigte. Es fiel ihm schwer, sich Erenis mit sieben Jahren vorzustellen, aber er sah sie vor sich, wie sie die Übungen im Gewölbe absolvierte und dabei besser und stärker wurde. Im Grunde genommen war sie immer noch dort. Die Dörfer waren ein Gewölbe mit einem nur geringfügig höheren Himmel.
In Kellerem sprach Erenis ihre Herausforderung aus. Sie wirkte ungewohnt müde dabei, wie eine, die eine lästige Pflicht erfüllt. Vielleicht hatte das viele Reden und Preisgeben wirklich außergewöhnlich an ihr gezehrt.
Ihr Gegner jedenfalls war ein Jüngling mit langen blonden Haaren, der gar keine Waffe besaß, sondern glaubte, die Klingentänzerin mit raschen Tritten wenigstens entwaffnen zu können. Vielleicht war ihm dergleichen schon mehrmals gelungen. Bei Erenis jedoch war ihm kein Glück beschieden. Bei einem seiner Tritte spießte er seinen Fuß auf ihre genau hingehaltene Schwertspitze, und als er dann wimmernd auf einem Bein herumhüpfte, machte Erenis kurzen Prozeß und bespritzte mit einem wuchtigen Querschlag beinahe die Hälfte der Schaulustigen mit dem warmen Blut des Blonden.
Die Kelleremer liefen kreischend herum wie kopflos. Zeigten sich gegenseitig anklagend das Blut. Beweinten mehr sich selbst als den Toten. Vergaßen Erenis, bis auf einen. Dieser eine warf begehrliche Blicke auf das Münzsäckel, das in der ganzen Unordnung verlockend verwaist auf dem Boden lag. Und jetzt ging Stenrei dazwischen. Trat aus dem Hintergrund ins Licht. Er dachte nicht lange darüber nach. »Es gehört ihr«, sagte er in bestimmtem Tonfall. »Keiner von euch hat es sich verdient.« Der verhinderte Dieb trollte sich, ging in der Menge der Blutbefleckten unter. Stenrei nahm das Säckchen und den Rucksack an sich, gab beides Erenis und verließ dann gemeinsam mit ihr den Ort.
Erenis schnaufte aufgebracht. »Eigentlich wollte ich ihn gar nicht töten«, erklärte sie, ohne dass Stenrei auch nur danach zu fragen gewagt hatte. »Er hatte ja nicht einmal eine Waffe. Ich wollte ihm nur eine Lektion erteilen. Seine Fußsohlen zerschneiden. Aber er hat mich verhöhnt. Indem er dachte, waffenlos könnte er einer Klingentänzerin begegnen, hat er mich noch weniger ernst genommen als alle anderen Männer. Das hat mich wütend gemacht. Also habe ich ihn zur Rechenschaft gezogen.«
Stenrei schwieg. Dieser Sieg war der bislang schmutzigste unter allen furchtbaren Siegen Erenis’, und ausgerechnet heute hatte er sich am deutlichsten für sie eingesetzt.
Jetzt mussten sie nur noch den Weg nach Dastnig finden, dann hatten sie keines der drei Dörfer, die hinter Denklen lagen, mit ihrer Rechenschaft vernachlässigt.
Sie übernachteten diesmal auf freiem Feld, abseits aller Wege. Der Himmel war klar wie gefegt, die Sterne funkelten, als seien sie zu Melodien angeordnet.
Sie gönnten sich kein Lagerfeuer. Damit hätten sie Armbrustbütteln mit nicht klar ersichtlichen Schusswinkeln ein zu leichtes Ziel geboten.
Erenis erzählte ihre Geschichte weiter. Stenrei hatte sie gar nicht danach fragen oder darum bitten müssen. Es schien ihr ein Bedürfnis zu sein, vollständig zu berichten. Sie war jetzt wie ein Wasserschlauch, der – einmal unten angestochen – nicht aufhören konnte auszufließen, bis er leer war.
»Ich fühlte mich in dem Gewölbe zu Hause. Mehr zu Hause, als ich das in meinem
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