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Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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zuschauten, versuchten Blicke auf das Darunter zu erhaschen und schwitzten dabei mit verzerrten Gesichtern. Aber das kümmerte uns nicht. Wir waren noch Kinder und wussten noch nichts von den Interessen der Erwachsenen. Für uns war das Kämpfen wie Spielen, und alles Spielen war Kampf, und der Kampf war das Leben, und das Leben war die Schule.
    Ich war die Zweitbeste mit der Klinge. Einzig Neeva blieb mir immer überlegen. Sie war auch ein Stück größer als ich, konnte deshalb all die Jahre auf mich herabblicken. Wir waren aber keine Feindinnen. Eigentlich genoss ich es sogar, dass es jemanden gab, den ich nicht bezwingen konnte. Das hielt mich davon ab, faul und nachlässig zu werden.
    Ich gab immer mein Bestes. Versuchte, mir so wenig Bestrafungen wie möglich einzuhandeln. Wenn Ugon Fahus rief, ich solle rennen, dann rannte ich bereits, noch bevor sein Befehl im Gewölbe verhallt war. Ich lernte, Seile nur mit meinen Armen hoch- und runterzuklettern, ohne die Beine zu benutzen. Ich lernte, mit verbundenen Augen auf Balken zu balancieren und sogar auf ihnen zu springen. Ich lernte, in völliger Dunkelheit zu kämpfen. Ich lernte, meine Bewegungen so schnell zu machen, dass das Auge ihnen nicht mehr folgen konnte. Ich lernte fünf Peitschen auszuweichen, die gleichzeitig aus verschiedenen Richtungen auf mich zuschnellten. Ich lernte, mit Anlauf durch einen brennenden Reifen zu springen, mich auf der anderen Seite abzurollen und ohne Verzögerung weiterzurennen. Ich lernte meine Mitschülerinnen anhand ihrer Körpergerüche zu unterscheiden. Ich lernte, stundenlang entlang der Innenwände des Gewölbes im Kreis zu laufen, ohne nennenswert zu ermüden. Ich lernte, mich durch Geräusche, Zurufe oder Schreie nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, ja, sogar bei großem Lärm schlafen zu können. Ich lernte in Stunden außerhalb der Schule, mich weder von großer Hitze noch von Kälte, Sturmwind, Regen oder Hagel in meiner Konzentration auf meinen Kampf stören zu lassen. Ich lernte, Schmerzen als etwas zu begreifen, das mir aufzeigte, an welchem Teil meines Körpers ich mich noch vervollkommnen konnte. Ich lernte, kein Mitleid zu haben mit Schwächeren und keine Ehrfurcht vor Stärkeren. Ich lernte, in Stärkeren Schwächen zu entdecken und auszunutzen. Ich lernte mich gegen eine Überzahl von Gegnern durchzusetzen, indem ich jede Überzahl in ihre einzelnen Bestandteile, nicht nur die einzelnen Körper, sondern auch die einzelnen Bewegungen, auflöste. Ich lernte Schrittfolgen und Haltungen, die mir mehr entsprachen als andere und die ich in Weiterentwicklung immer mehr mit mir verschmelzen konnte, bis ich die Schrittfolgen und Haltungen war und die Schrittfolgen und Haltungen mich ausmachten. Ich lernte, mein Schwert zu pflegen, die Wärme und die Kälte seiner Klinge zu lesen und für mich nutzbar zu machen, seine Schärfe zu gebrauchen, sein Gewicht, seine Stumpfheit, seine Lautlosigkeit, seine Hebelwirkung, seinen Luftsog, sein Kippverhalten. Ich lernte, meinen Leib sauber und gesund zu halten. Ich lernte, was man essen kann und was nicht. Was ich nicht lernte, war Lesen, Schwimmen, Reiten und das Trinken von Weingeist. Das alles brachte ich mir erst später bei, nachdem die Schule schon nicht mehr stand. Was ich bis zum heutigen Tag nicht beherrsche, ist Schreiben und Bogenschießen. Aber auch das kommt vielleicht noch. Ich bin ja noch nicht alt. Eines Tages werde ich Armbrusten begegnen können, indem ich einfach zurückschieße.«
    »Das schützt dich aber wahrscheinlich nicht vorm Getroffenwerden«, sagte Stenrei lächelnd.
    »Oh, ich werde nicht so leicht getroffen. Ugon Fahus hat uns auch beigebracht, zwischen dem Auslösen einer Armbrust und dem Einschlag des Bolzens zu handeln. Denn der Bolzen kann sich nur noch auf gerader Bahn bewegen. Das Ziel nicht.«
    Er nickte, denn genau auf diese Frage, die er ihr schon bei der belagerten Hütte gestellt hatte, war es ihm angekommen.
    »Aber natürlich sind Schützen, die aus dem Verborgenen heraus auf mich anlegen, ein Problem, weil ich zwar das Klack hören kann und auch, wo es herkommt, aber ich nicht weiß, auf welchen Teil meines Körpers sie gezielt haben, also in welchem Winkel der Bolzen angeflogen kommt.« Sie schwieg, als raubte ihr so ein Eingeständnis von Schwäche die Worte.
    Er hatte gespürt, dass sie es müde wurde, dermaßen viel zu reden, also hatte er es gewagt, sie zu unterbrechen. Immer noch überwältigt davon, wie viel sie heute über sich

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