Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
Vom Netzwerk:
Heimatdorf jemals empfunden hatte.
    Alles, was Ugon Fahus mir abverlangte, diente dazu, mich stärker und besser zu machen. Mich überlegen zu machen. Ich hatte das begriffen und verinnerlicht. Er war wie der Vater für mich, den ich niemals gehabt hatte. Ein gestrenger Vater, ja. Aber einer, der mich jeden Tag aufs Neue mit seiner Aufmerksamkeit bedachte. Wir waren zwar sechzehn Schwestern. Aber keine von uns bekam jemals Gelegenheit, sich vernachlässigt zu fühlen.«
    » Sechzehn Schwestern? Hast du nicht etwas von achtzehn erzählt?«
    »Wir waren achtzehn am Anfang. Aber die Jahre vergingen. Eine von uns war den Anstrengungen nicht gewachsen. Sie verletzte sich viel, weinte, war oft krank. Ugon Fahus musste sie schließlich der Schule verweisen. Fahrende Händler nahmen sie mit sich. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist.
    Eine weitere war eines Nachts verschwunden. Ihre Kette war aufgebogen worden, ein schwaches Kettenglied, womöglich hatte sie jahrelang daran gewerkelt, bis es ihr schließlich gelungen war, es zu zerbrechen. Von ihr weiß ich, was aus ihr geworden ist. Ugon Fahus ritt hinaus in die Nacht und brachte sie zurück. Er fand sie, so gut sie sich auch zu verbergen trachtete. Er fand sie, obwohl kein Licht am Himmel war. Falls jemals noch eine andere von uns den Gedanken gehegt hatte, der Schule zu entfliehen, so war jetzt allen die Vergeblichkeit bewusst.
    Er brachte sie um. Wenn ich so darüber nachdenke, war dies der eigentliche Beginn unseres Sterbens, denn jetzt wandten wir uns gegeneinander und wurden nicht einfach nur Opfer von Schwäche und Krankheit.
    Ich werde dir nicht schildern, wie er sie tötete. Es würde deine jugendliche Phantasie zu sehr beschäftigen. Aber es fand in der Mitte des Gewölbes statt, vor unser aller Augen, denn er zwang uns, es mitanzusehen. Es dauerte lange und war qualvoll. Bis sie endlich aufhörte zu schreien und in eine zuckende, blutende Ohnmacht hineinglitt, waren schon drei oder vier von uns ebenfalls zusammengebrochen. Aber nicht ich. Und auch nicht Neeva. Wir schauten uns das Sterben an. In dem vollen Bewusstsein, dass es eine Schwester von uns war, die dort Körperteil für Körperteil ausgelöscht wurde und niemals wiederkehren würde.
    Ich kann nicht sagen, dass ich erfreuliche Gefühle dabei hatte. Aber mein Schrecken hielt sich sehr in Grenzen. Ich war erstaunlich ruhig. Der Tod erschien mir als etwas Wahrhaftiges, als ein Ziel, das nach langen, langen Schmerzen sogar erstrebenswert war. Ich hielt vor meinem geistigen Auge das Kriechen und Wühlen und elende Dasein der Dörfler dagegen und dachte: Der Tod macht wenigstens ein Ende. Er lässt keine Fragen mehr offen. Was für ein Leben hätte ihr denn bevorgestanden dort draußen? Ein einsames, hübsches Mädchen, das keine Münzen besitzt und nichts gelernt hat außer Kämpfen? Ich empfand den Tod als eine Art Friedensbringer. Und fühlte mich friedlich, als sie endlich, nach mehreren Stunden der Pein, tot war.
    Danach waren wir zu sechzehnt.
    Sechzehn ist die ideale Zahl. Ugon Fahus konnte uns jetzt in Turnieren gegeneinander antreten lassen. Acht Zweikämpfe in der ersten Runde, vier in der der zweiten, zwei in der dritten und dann das Finale. Wir kämpften noch nicht auf Leben und Tod, sondern nur so lange, bis eine von uns aufgab oder nicht mehr stehen konnte. Aber wir kämpften in Turnieren. Jedes Jahr vier. Und es kamen Zuschauer, die dafür bezahlten, uns zuschauen zu dürfen. Ausschließlich Männer. Abgesehen von ein paar Dienerinnen und uns gab es niemals Frauen in der Schule. Fast schien es mir manchmal, als duldete Ugon Fahus keine Frauen außer uns. Wir waren seine Töchter, seine Schülerinnen, seine wertvollen Kostbarkeiten und auch seine Schönheiten. Mehr als uns brauchte er nicht.
    Und die Jahre vergingen.
    Manchmal waren wir so erschöpft, dass wir die Stiegen, die zu unseren Zimmern führten, nur noch rückwärts nehmen konnten. Einige von uns hatten Eltern und vermissten sie. Einige von diesen gingen nachts zum Abtritt, um dort in aller Heimlichkeit zu weinen.
    Aber wir wurden stärker.
    Es war, als ob sich das gar nicht verhindern, aufhalten, unterbinden ließe. Wir wurden stärker als Männer. Stärker vielleicht auch als unser Kriegslehrer, denn gegen ihn arbeitete die Zeit, die uns begünstigte.
    Ich war sechzehn, als sich für mich alles änderte. Sechzehn, die ideale Zahl.
    Drei Dinge waren es, die mich gegen Ugon Fahus aufbrachten.
    Zum einen gab es eine von uns, die

Weitere Kostenlose Bücher