Klingenfieber: Roman (German Edition)
weißen Papieren. Einer wollte den Kindern Märchen erzählen. Und einer brachte uns bei, wie man so tanzt, dass alle Tänzer sich zu Mustern ordnen. Aber keiner von denen hatte jemals ein besonderes Interesse noch auch nur Gefallen an mir bekundet. Bis der Kriegs lehrer kam. Von da an war ich eine Ausgezeichnete.
Natürlich legte ich die Bänder nicht ab. Auch nicht, um mich zu waschen. Ich wusch meine Beine einfach mitsamt der Bänder. Meine Gnadeneltern – denn meine richtige Mutter lebte ja schon nicht mehr –, schimpften zwar viel, sagten nach einer Woche schon, die Bänder würden stinken und seien eine Entsetzlichkeit, ein Widerspruch, ein Fremdkörper im Gefüge des Dorfes – lieber hätte ich mich unter dem Fall ertränkt. Ich war entschlossen, die blauen Bänder mit Nägeln und Zähnen zu verteidigen. Mit dem Brotmesser, wenn es sein musste. Sogar mit meinem Blut.
Dieser Monat des Wartens war der aufregendste meines bisherigen Lebens.
Weil ich mir ausmalte, wohin mich der Käfigmann bringen würde. Auf sein Schloss. In einen verwinkelten Palast. Wo stumme und schöne Bedienstete mir die Bänder lösen und mich in ein Kleid von ebenso tief reichender Farbe hüllen würden. Ich war ja noch ein Kind damals. Ich träumte, wie alle Kinder das tun.
Woche um Woche verging.
Und wenn ich vorher schon ein Sonderling gewesen war, so wurde ich jetzt zu einer Aussätzigen. Denn alle Kinder mieden die Braut des Kriegsmannes. Und fürchteten sich vor ihr und seinem Zorn. Das fühlte sich gut an. Ich wurde nicht mehr beargwöhnt und mit Schmähungen bedacht, nur weil ich keine echten Eltern mehr hatte und meine Haare heller waren als die der anderen Kinder. Ich wurde gefürchtet, obwohl ich nur eine war, und die anderen Kinder etwa zwanzig.
Und ich weiß noch, wie ich mir damals dachte: Das macht Freude, plötzlich mit Respekt behandelt zu werden. Aber wovor fürchten sich die anderen denn? Die blauen Bänder allein können es doch wohl kaum sein?
Heute weiß ich es: Sie fürchteten die vielen Tode, die ich verursachen würde. Sie fürchteten mein heutiges Ich. Als könnten sie in den blauen Bändern verschlungen den Verlauf meiner Zukunft lesen.
Ich dagegen hatte nicht die geringste Ahnung, was mich erwarten würde. Ich träumte nur. Von einem Leben, das sich vollkommen von meinem bisherigen unterschied.
Der Monat verging langsamer, quälender als alle anderen Monate zuvor. Wohin ich auch trat, wich man vor mir zurück. Das war neu und aufregend, aber es war ja nicht mein Ziel. Ich wartete. Ich wartete, dass der Käfigmann mich zu sich emporhob.
Und dann kam er. An dem Tag, an dem der erste Schnee fiel. Der Schnee taute wieder, aber der Atem des Mannes schien mein Dorf mit Nebel einzuhüllen. Kalter Rauch umwirbelte ihn. Er sprach noch ein paar harte Worte zu meinen Gnadeneltern, zahlte ein paar Münzen, die ihnen als Ersatz für mich genügten. Dann nahm er mich an den Hüften und setzte mich vor sich auf sein Pferd.
Wir ritten, und sein ledriger, mit Eisenringen durchwirkter Körper erschien mir kälter und härter als die Raureiflandschaft ringsum.
Alles war mir fremd, obwohl ich, wie du auch, mich gerne in den Wäldern jenseits des Dorfes herumgetrieben hatte. Aber ich erkannte nichts mehr wieder. Außer auf einem Kaltblüter, den einer der Bauern zum Bestellen des Ackers benutzte, war ich noch niemals vorher auf einem Pferd gesessen.
Ugon Fahus brachte mich zu den anderen. Denn ich war nicht das einzige Mädchen mit blau umwickelten Beinen. Das war natürlich enttäuschend. Meine Träume vom Palast und den Gewändern fielen in sich zusammen. Es waren sechs, insgesamt, Ausbeute der vielleicht dreißig umliegenden Dörfer. Er hatte sie in einem hölzernen Kistenwagen untergebracht, der nach der Furcht von Mädchen roch. Dort kam auch ich hinein. Es war dunkel und kalt da drinnen, nur durch ein paar Ritzen fiel Tageslicht. Wir sechs Mädchen kauerten uns bibbernd aneinander, um nicht zu erfrieren. Dennoch wurde eine von uns krank und starb unterwegs. Ugon Fahus warf ihren toten Körper einfach an den Straßenrand. Ich werde nie vergessen, wie sie auf den gefrorenen Boden aufschlug, bereits steif vom Tod, wie eine Puppe aus ganz ledrigem Stoff.
Etwa zwei Wochen fuhren wir in dieser Kutsche, bekamen kaltes Wasser zu trinken und Reiseintopf zu essen, jeden Tag denselben Reiseintopf, der mir in den ersten Tagen sogar noch schmeckte, aber mich schon bald zum Würgen brachte, wenn ich nur roch, wie Fahus
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