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Klingenfieber: Roman (German Edition)

Klingenfieber: Roman (German Edition)

Titel: Klingenfieber: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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nicht mehr los, dass sie ihn inzwischen als Mitreisenden, als beinahe Gleichberechtigten akzeptierte. Auch wenn er abgesehen von der Flucht aus der belagerten Hütte noch nichts wirklich Bedeutsames zu ihrem Leben hatte beitragen können.
    Am nächsten Morgen sprach Erenis ihre Trentefer Herausforderung aus. Ihr Gegner wurde ein Tempelmönch mit langem Rauschebart, der geschickt mit einem geweihten Fünfzack umzugehen verstand.
    Stenrei betrachtete diesen Kampf ganz besonders genau. Er suchte nach dem Moment, von dem Erenis erzählt hatte: Wenn der Gegner die Beherrschung verlor, weil sie eine Frau war. Sicherlich lag es daran, dass es sich bei ihrem heutigen Gegner um einen Mönch handelte – jedenfalls konnte Stenrei keinen derartigen Moment entdecken. Es war ein sehr schnelles, beherztes Gefecht, der Mönch wirkte ruhig und abwägend, Erenis ebenfalls, ihre Waffen trafen sich drei- oder viermal, ihre Körper tanzten beide. Dann lag der Mönch da, und Erenis zog ihm ihr Schwert aus dem Bauchraum.
    Die Menge schwieg. Einige nickten sogar. Einige – das hatte Stenrei vorher noch nie erlebt – applaudierten der Klingentänzerin und beglückwünschten sie zu ihrem vorzüglichen Stil.
    Der Mönch erhob sich wieder, klopfte sich den Staub aus der Kutte und nahm seine Kampfhaltung ein.
    Erenis und Stenrei trauten ihren Augen nicht. Die Menge applaudierte nun beiden. Der Kampf ging weiter.
    Der Mönch focht, als wäre er vollkommen unverwundet. Erenis geriet beinahe in Bedrängnis, Stenrei sah Schweiß auf ihrer Oberlippe und im Spalt zwischen ihren Brüsten glänzen. Doch dann bezwang sie den Gegner, abermals, und zog ihre Klinge diesmal aus seinem Brustbein.
    Die Menge applaudierte freundlich. Erenis traute dem Ergebnis noch nicht.
    Und tatsächlich: Der Mönch erhob sich ein drittes Mal und nahm seine Fünfzackstellung ein. Sein bartumwuchertes Gesicht zeigte weder Lächeln noch Grimm.
    Diese dritte Runde war die längste. Die Menge ging mit und feuerte beide an. Schließlich schlug Erenis – deren Haare sich schon beinahe ganz aus den Knoten gelöst hatten – dem Mönch den Kopf vom Rumpf. Und diesmal blieb er tot.
    Nachdem sie Trentef unter den Glückwünschen der Bevölkerung verlassen hatten, wollte Erenis in einem nahe gelegenen Fluss baden. Sie sah furchtsam aus, beinahe wie ein Kind. »Hast du das gesehen?«, fragte sie Stenrei mehrmals. »Ein ganz normales Dorf, das sich in nichts von den anderen unterscheidet. Und dennoch findet man dort Unheimliches, wenn man nur sucht.«
    Als sie badete, zog sie vor Stenreis Augen ihre Hosen herunter und knöpfte ihr Hemd auf, ganz genau wie damals, als er sie in den Wäldern hinter Bosel zum ersten Mal erblickt hatte. Er sah ihre weiblichen Reize regelrecht aus den Ledern quellen. Aber er ertrug den Anblick nicht mehr. Er war dieser Frau nun zu nahe, wusste zu viel über sie, um unbelastet gaffen zu können. Mit ungelenk wirkenden Schritten ging er um eine Flussbiegung und wusch sich dort selbst. Kühlte sich. Versuchte, sein inneres Rasen zurückzuführen auf sicheres Terrain. Und sie beachtete ihn gar nicht. Sie beachtete auch nicht die beiden Schäfer, die sie vom anderen Ufer aus größerer Entfernung anstarrten. Ihre Gesichter nur unbewegte Flecken an der Böschung.
    Sie dachte an den Tod und seine vielen Fratzen, die alle ohne Vorhersagbarkeit und Ausdruck waren.
    Sie dachte an die brennende Schule, in der der Tod mit rauchiger Hand alle erfasst hatte, alle, außer ihr selbst. Beinahe ohne Spektakel. Jedenfalls ohne Zeugen. Und deshalb, als wäre es gar nie geschehen.
    In der Nacht schliefen sie in Gronick. Das Wirtshaus trug den schönen Namen »Laternenlichthof«.
    Sie schliefen in angrenzenden Zimmern, und Erenis konnte hören, wie der Junge entweder unruhig schlief oder sich wieder selbst befriedigte. Es kümmerte sie nicht. Männer und Jungs waren sich sehr ähnlich, aber sie waren noch nicht ganz vom selben unangenehmen Auftreten.
    Gegen Mittag erschlug sie in Gronick einen Gegner namens Tanter Ribelt. Er handhabte einen mit Stacheln versetzten Dreschflegel, und das gar nicht schlecht. Er war ihr einundvierzigster Beweis. Sie wusste selbst nicht, wie viele Beweise sie eigentlich anstrebte. Vielleicht einhundert. Vielleicht tausend. Vielleicht neuntausend. Jedenfalls so viele, wie nötig waren, bis das Gefühl sich einstellte, dass es ausreichte. Dieses Gefühl war noch bei Weitem nicht erreicht und würde vielleicht auch niemals kommen.
    Der Junge

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