Klingenfieber: Roman (German Edition)
Er schoß nicht, noch nicht, sie war ein zu unklares Ziel. Dies war der klügste von allen.
Da waren noch mehrere. Noch einer zu Pferd und zwei oder drei weitere zu Fuß. Wie viele also ingesamt? Etwa zehn. Und fünf Hunde. Sie sorgte für Unruhe im Land. Machte das Ausschicken einer ganzen Garnisonsbesatzung möglich.
Der Junge fragte nun nicht mehr. Hatte sich endlich in Deckung begeben. Oder war ergriffen worden, eine fremde Handschuhhand auf seinem Mund. Wenn man ihn gegen sie als Geisel benutzen wollte, würden die Büttel sich wundern, wie leicht es ihr fiele, ihn preiszugeben.
Die Bewegungen, die auf sie zukamen, waren unklar. Sie konnte nicht erkennen, wie viele von denen Schusswaffen hatten. Verdammter Magermond. Aber andererseits schützte sein Wankellicht sie auch.
Sie machte sich niedrig, nahm einem der Toten seinen Säbel ab, schleuderte ihn auf die Bewegungen zu. Ein Aufruf, kein echter Treffer zwar, aber immerhin Erstaunen. Sie sprang hinterdrein, folgte der Flugbahn. Stieß auf Gegner. Erst einen, der alles falsch machte und beinahe schon eilfertig starb. Dann einen, der sich zu verteidigen verstand. Ein Schütze auf einem Pferd drückte ab. Erenis umtanzte den Bolzen, wich nur um Haaresbreite der Klinge aus, durchschnitt ihren Gegner diagonal und griff den Reiter an. Diesen erkannte sie. Die langen Haare und der Umhang. Sie wollte ihn nicht gleich töten, rammte nur seinen Fuß aus dem Steigbügel aufwärts, bis er ächzend aus dem Sattel kippte. Hart schlug er auf.
Mindestens einer war da noch. Der Schlaue auf dem Pferd.
Sie huschte zurück. Nahm einen der Toten auf, sie wusste gar nicht, welchen, in diesem Zustand waren alle Menschen gleich viel und gleich wenig wert. Zerrte ihn vor sich. Stürmte voran in die Nacht auf der Suche.
Fand nicht den Berittenen – war er geflohen? Nein, sie hätte das Hufgetrappel hören müssen –, sondern einen weiteren zu Fuß. Mit dem hatte sie nicht mehr gerechnet. Oder war es der Berittene, der abgestiegen war? Nein, der war doch klug gewesen, oder?
Sie musste die Leiche, die sie als Deckung gegen den Schützen hatte verwenden wollen, fallen lassen, um sich dem Fußbüttel zu stellen. Dieser drang mit wütenden Schlägen auf sie ein. Hatte vielleicht Kameraden gehabt unter den Gefallenen. Lange Zeit mit ihnen eine schöne ruhige Kugel geschoben in einer der Dorfgarnisonen, bevor der Aufruf des Rittrichters erging, für ihn und seine Sache zu sterben. Sie bezwang ihn, weil er ein Mann war und ihren Schweiß und ihr Leder riechen konnte. Sie wusste das. Es schwächte alle Männer, als würde man ihnen Wasser statt Blut durch die schwellenden Gefäße jagen.
Irgendwo im Dunkel lauerte noch einer. Das schmeckte ihr gar nicht. Jetzt hätte sich eigentlich der Junge mal nützlich machen und ihr einen Hinweis geben können, aber das war wohl zu viel erwartet. Der Junge kauerte sicherlich irgendwo und machte sich nass vor Furcht.
Sie eilte zurück zu dem aus dem Sattel gehebelten Anführer. Wenn der letzte Verbliebene ein anständiger Untergebener war, konnte er nicht zulassen, dass sie sich an dem Rittrichter vergriff.
Sie fand ihn, wie er sich gerade aufrichten und sich aus seinem Umhang entheddern wollte. Sie trat ihm ins Kreuz, sodass er Speichel spritzend zu Boden ging. Er stöhnte erbärmlich, der eitle Mensch.
Erenis lauschte. Nichts. Kein Junge. Kein letzter Reiter. War er doch abgestiegen und ihr letzter Gegner gewesen? Oder war er abgestiegen und legte gerade auf sie an ?
Sie warf sich hin. Reiner Instinkt. Oder vielleicht auch mehr als das. Vielleicht etwas, das Ugon Fahus ihr beigebracht hatte, in seiner Schule, denn auch er hatte mit Schusswaffen auf seine Mädchen angelegt, deren Augen mit einem blauen Band verbunden gewesen waren, und er hatte sie gezwungen zu erraten, auf welche von ihnen er gerade anlegte. Und schoss.
Der Bolzen schnitt über sie hin und knirschte in den Wegboden.
Für einen Moment wurden ihre Vergangenheit und ihre Gegenwart eins. Sie fühlte sich, als hätte man ihr ein blaues Tuch aus Nacht um die Augen geführt.
Sie rannte los. Suchte und fand diesmal. Er war immer noch zu Pferd, wich tänzelnd vor ihr zurück und lud nach. War eben doch nur ein dummer Mann. Vertraute ganz allein auf seine Schusswaffe, anstatt seinen Säbel zu ziehen und von oben herab nach ihr zu schlagen. Nun war sie zu nahe heran. Ihr Schwert war eine Nadel, die in ihm nähte. Schere oder Nadel. Was ein Mädchen eben gerade brauchte. Er
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