Klingenfieber: Roman (German Edition)
Die Männer sind es, die ungeduldig sind. Wenn einer darunter wäre, der sagt, ich kann diese Frau noch nicht einschätzen, ich will erst sehen, wie sie kämpft, dann hätte er von mir nichts zu befürchten. Ich zwinge niemanden zu irgendetwas. Und wenn einer darunter wäre, der im Kampf nicht die Beherrschung verliert, dann könnte er mich besiegen. Ich bin sicherlich nicht unbezwingbar. Bestimmt gibt es Männer, die noch erfahrener im Kämpfen sind als ich. Aber auch die denken irgendwann: Es ist nur eine Frau, es kann doch nicht sein, dass sie stärker ist als ich . Und dann verlieren sie zuerst ihre Geduld, dann ihre Beherrschung und dann ihr Leben.«
Stenrei ließ diese Worte auf sich wirken. Dann fragte er: »In meinem Dorf, in Bosel, gab es jemanden, der weit herumgekommen ist in der Welt. Der Begriff Klingentänzerin war deshalb in Bosel geläufig. Man konnte dich anhand deines Schwerts zuordnen. Kam das sonst niemals vor?«
»Doch. Mindestens dreimal haben Kampfgegner mich als Klingentänzerin erkannt. Doch auch die, die mich erkennen, unterschätzen mich. Denn sie denken: Diese Klingentänzerinnen mögen einen guten Ruf besitzen, aber sie haben immer nur gegen ihresgleichen gekämpft. Gegen andere Frauen. Gegen einen Mann jedoch werden sie sich wundern. Und sie irren sich alle. Denn sie vergessen eines: Selbst ein Soldat, also ein Mann, der für das Kämpfen lebt, beginnt seine Ausbildung erst etwa in deinem Alter. Ich jedoch wurde zur Klingentänzerin ausgebildet, seit ich sieben bin. Diese zehn zusätzlichen Jahre wiegen alle Nachteile in Bezug auf Muskelkraft oder Körpergewicht bei Weitem wieder auf.«
»Ja, das glaube ich gern.«
Erenis gähnte. Jetzt war ihr anzusehen, dass das lange Gespräch sie ermüdete. Stenrei wollte noch eine Frage finden, eine, die bewältigbar war, erheiternd vielleicht sogar, doch in ihm rumorte nur Düsteres, Fragen nach Leben und Tod. Wie es war, so viele Leben zu nehmen und schon morgen damit fortzufahren.
Vor einigen Jahren war einmal ein Henker durch Bosel gekommen. Um in einem der umliegenden Dörfer jemanden zu richten. Die Boseler hatten getuschelt, gestarrt und gedeutet, als sei dieser traurige Mensch der Tod persönlich gewesen. Unter ihnen auch der noch kleinere Stenrei.
»Leg dich jetzt hin, Junge, ich werde noch eine Weile Wache halten.«
Die Gelegenheit, eine weitere Frage zu stellen, war verstrichen, vielleicht für längere Zeit. Stenrei ärgerte sich, dass sie ihn immer noch nicht beim Namen, sondern weiterhin Junge nannte, aber er schluckte diesen Ärger und beschloss, sich für heute mit der wahrlich reichhaltigen Ernte zu begnügen, die er eingefahren hatte. Es war ihm gelungen, eine echte Diskussion mit ihr zu führen. Er fühlte sich nun beinahe schon auf Augenhöhe.
In der Nacht waberte ein seltsames Geräusch durch das Dunkel.
Wie ein Weinen klang es, ein fast schon wahnsinniges Schluchzen und Jammern.
Als Stenrei erwachte, schaute er zuerst, ob es Erenis war, die da weinte, aber sie saß ganz ruhig in seiner Nähe und döste, auf Wache eingenickt oder so leicht schlafend, dass sie bei der geringsten Gefahr sofort hochschnellen würde.
Das Schluchzen verlor sich unter den Sternen, und Stenrei schlief wieder ein und hielt es für einen Traum.
In Dastnig wimmelte es von Bütteln.
Stenrei konnte die Gefahr schon spüren, als er das Dorf als Erster betrat. Diesmal wirklich, ohne dass er Erenis dabei etwas vormachte. Es gab eine Garnison hier, und die schien nicht eben kärglich bemannt zu sein. Er zählte allein schon auf den Straßen und an den Rändern des Hauptplatzes vierzehn Männer in Uniformen.
Hastig kehrte er zu Erenis zurück und riet ihr, Dastnig auszulassen. Sie murrte, weil sie alle drei Orte hinter Denklen hatte »betanzen« wollen, fügte sich aber sogar in Stenreis Ratschlag, auch den nächstgelegenen Ort noch auszulassen, weil die Büttel zu Pferde sehr schnell dort sein könnten.
So umgingen sie Dastnig, passierten Praas und erreichten Trentef erst gegen Abend. Sie nahmen sich zwei Zimmer, und erstmals zahlte Erenis für Stenreis. »Jetzt, wo du weißt, dass ich mehr Münzen besitze, als ich mit mir herumtragen kann, hältst du mich doch sicher für geizig, wenn ich dich nicht ab und zu einlade.« Sie sagte das lächelnd, wirkte dabei jedoch eigenartig ungelenk, so, als sei sie es überhaupt nicht gewohnt, zu jemandem freundlich zu sein, und als gefiele ihr das auch nicht. Warum tat sie es dann? Stenrei wurde das Gefühl
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