Klingenfieber: Roman (German Edition)
Rücken. Frauen hatten Kleidung an, die nur aus aneinandergenähten Löchern bestand. Männer trugen Sänften mit Frauen hinter Schleiern. Frauen bewegten sich, als würden sie tanzen, aber nirgends war Musik zu hören. Männer stießen sich und überbrüllten sich, maßen sich mit Blicken und mit Schulterrempeln. Frauen versenkten ihre Augen in Vorübergehende wie Schöpfeimer in einen Brunnen. Männer waren geschminkt wie Frauen. Frauen führten Männer an Halsleinen mit sich, aber es war deutlich zu sehen, dass die Männer diese Frauen für diese Dienstleistung bezahlten. Vieles stand kopf. Anderes war schlichtweg falsch und gelogen, aber nichtsdestotrotz kein bisschen beschämt. Stenrei war begeistert von den Farben und Formen, den Stoffen, den Sprachen, den Hüten und den fremdartigen Tieren, die überall zur Schau gestellt wurden. Erenis war eher angewidert, gleichzeitig jedoch schrillte ihr Sinn für Gefahren die ganze Zeit.
Überall sah sie Gegner.
Städtische Inspizienten, die von ihr gehört haben mochten oder von dem Rittrichter vielleicht sogar eine Skizze mit ihrem Konterfei überreicht bekommen hatten. Mit schläfrigen Augenlidern ließen sie ihre Blicke an ihr hinabgleiten, verharrten auf ihrer Brust und ihren Lenden und gingen dann weiter, in Gruppen zu sechst oder zu siebt.
Und weitere Gegner. Überall. Männer mit Waffen. Lässig über der Schulter oder unter den Arm geklemmt, während sie Handel trieben und sich gegenseitig Münzen aus der Tasche zogen. Männer aus aller Welt, die des Fechtens mächtig waren, ohne damit prahlen zu müssen. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte die Klingentänzerin so viele Gegner versammelt gefunden. Es mochten Hunderte sein. Tausende womöglich. An einem einzigen Ort. Aber nicht versammelt, sondern aufgesplittert in lauter Einzelne, die nichts voneinander wussten und einander gering achteten. Es gab hier keinen Zusammenhalt, den man aufhebeln konnte wie in den Dörfern. Keine Bekanntheit, Vertrautheit. Hier schien jeder jedem fremd zu sein. Und alle fühlten sich in dieser Fremdheit wohl, denn sie konnten offen zur Schau stellen, was immer sie wollten, und gleichzeitig verbergen, was immer sie waren.
Hierher musste sie eines Tages kommen, um es zu Ende zu bringen. Hierher. In diese Stadt.
Um einen Haufen aus Männerleibern aufzuschichten, höher und höher zu steigen und dabei von nachdrängenden Feinden Schlag für Schlag abgetragen zu werden wie ein alter Turm, aus dem man neue Häuser macht. Hier gab es alles, was sie brauchte, um sich und ihren Hass überwinden zu können.
Aber noch war es nicht so weit. Vorher galt es den Verbleib ihrer Schwestern in Erfahrung zu bringen. Und ihre Sicherheit zu gewährleisten. Ihr Glück, falls so etwas überhaupt noch möglich war.
Sie erkundigte sich nach Danroth Gerden, während Stenrei Frauen, die so schwarz wie Kohle waren, in den Ausschnitt gaffte und von zotteligen Tieren angerempelt wurde, die Rehen ähnlich sahen, aber auch Höckerpferden. Viele der Hochstädter kannten Danroth Gerden und wussten auch, wo er zu finden war. Denn Danroth Gerden lebte in einem Palast, und ja, er besaß eine Sammlung wertvoller und einzigartiger Waffen, die jeder für ein paar Münzen besichtigen konnte.
Auf dem Weg zu diesem Palast verliefen sie sich.
Ein stetiger Menschenstrom spülte sie, ohne dass es ihnen eigentlich bewusst wurde, aus der Stadt hinaus. Vor lauter hohen Wänden links und rechts hatten sie gar nicht mehr mitbekommen, in welcher Richtung sie unterwegs waren, und staunten beide, als sie sich plötzlich außerhalb eines der Stadttore wiederfanden. Unverzüglich kehrten sie um, stemmten sich dem Strom entgegen und drangen wieder vor in das Gewühl aus Straßen und Menschen und Bauwerken, und versuchten diesmal, sich nicht von den Wänden irritieren zu lassen, sondern dem Anstieg Richtung Palastviertel zu folgen.
Die Gebäude dort waren wirklich prachtvoll. Einige hatten sogar Gärten, und leicht bekleidete Menschen gingen in diesen Gärten umher und wässerten seltene Pflanzen mit Gießkannen. Andere trugen vergoldete Kuppeln, die wie Zwiebeln geformt waren, oder waren von hohen, schlanken Türmen flankiert, auf denen mürrische Wachtposten kauerten. Stenrei sah einen künstlichen See, in dem Schwäne und Mädchen planschten, Erenis staunte über ein Beet, dessen Blumen ein Wappen zeichneten. Beide begafften ein drehbares, mit Glöckchen und Metallsilhouetten behängtes Gestell, in dem Kinder kreisten. So etwas
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