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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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und das Kunstleder unter unseren halb nackten Beinen fühlte sich an wie Packeis. Die restliche Fahrt saß Maman hinten, zwischen uns beiden, als fühlte sie sich endlich dazu imstande, als hätte sie diese Zeit der Gewöhnung gebraucht. Wir legten den Kopf auf ihre Knie und schliefen, das heißt, wir taten so. Der Duft ihres Kleides vermischte sich mit Heizungs-und Schweißgeruch. Ich spürte ihre Finger auf meiner Stirn oder in meinem Haar. Und die Wange meines Bruders an meiner, unsere feuchte Haut und ihren mit dem Motorengeräusch verschmelzenden Atem. Von Zeit zu Zeit beugte sich Maman über mich und gab mir einen Kuss. Ich ließ die Augen zu, hielt den Atem an, fühlte mich wohl unter ihren wiedergefundenen Küssen auf dieser Fahrt durch die Nacht mit den gedämpften Radioklängen.
     
    Gegen zehn Uhr kamen wir an. Die Restaurants machten gerade dicht, die Promenade war menschenleer. Beschürzte Mädchen stapelten Stühle aufeinander oder stellten sie umgedreht auf die abgewischten Tische. Die Köche rauchten neben den Mülltonnen. Das Grollen der Wellen übertönte alles, und damals zeichneten sich die weißen Klippen noch nicht vor dem Nachthimmel ab. Oft habe ich seit jenem Tag vor nunmehr zwanzig Jahren ein paar Stunden oder länger in Étretat verbracht. Ich könnte nicht sagen, seit wann genau die Klippen angestrahlt werden. In welchem Jahr die riesigen Scheinwerfer aufgestellt wurden. Ich weiß nur, dass ich seither jedes Mal, wenn ich herkomme, dasselbe Zimmer im Hotel des Corsaires nehme, nämlich die Nummer 103, und den Großteil der Nacht auf dem Balkon, in Decken eingemummt, auf dem Plastikliegestuhl verbringe, um mir das unwirkliche Schauspiel der phosphoreszierenden, gleichmäßig geriffelten, rechtwinklig ins tiefste Schwarz abfallenden Felsen anzusehen. In diesen Nächten rauche ich, bis alles erlischt und die Welt plötzlich dem Meer zurückgegeben wird, auf das Tosen der Brandung, das Klickern der Kieselsteine zusammenschrumpft. Claire begleitet mich zum dritten Mal, zum ersten Mal seit Chloés Geburt. Ich habe keine Ahnung, ob sie auch nur ansatzweise versteht, warum ich auf dem schmalen Balkon so viel Zeit damit verbringe, den Kreideblock mit seinem hohlen Felsturm und die endlos davor kreisenden Vögel anzustarren oder, früher am Tag, am Strand zu sitzen und unermüdlich glatte Kiesel durch die Finger rieseln zu lassen.
     
     
     
     
     
     
    Als meine Mutter begriff, dass wir nach Étretat fuhren, dass wir dort die Nacht und, sofern alles gut ging, sogar ein paar Tage verbringen würden, verzog sie keine Miene. Dabei hatte ich auf ein Lächeln, ein Leuchten in ihren Augen gelauert. Erinnerungen an ihre Hand in der Hand ihrer eigenen Mutter, sie war damals acht, neun oder zehn, und sie spazierten schweigend über die von Kieseln bedeckte Landzunge zwischen den Klippen. Abends, nach dem Strand, fuhren sie nach Fécamp, wo sie bei einer Freundin wohnten. In meiner Brieftasche sind drei Fotos. Auf einem ist meine Mutter als lächelndes dünnes Mädchen zu sehen, sie trägt einen hellen Badeanzug, und die ersten Wellen lecken an ihren Füßen. Auf einem anderen steht eine kleine Frau mit geblümter Bluse Zigaretten rauchend neben langen Holzrutschen. Nur mit Mühe erkenne ich in ihr meine Großmutter. Meine erste Erinnerung an sie geht auf ihren Tod oder die Zeit um ihren Tod zurück. Ja, genau: Ich erinnere mich an sie erst nach ihrem Tod, wie an einen Abdruck, an eine Leerstelle, die sie hinterlassen hat. Eine Erinnerung an eine Erinnerung. Ihr eckiges Gesicht, ihr bäuerliches Aussehen, ihre Brille mit den dicken Gläsern, ihr gefärbtes lockiges Haar, das sie mit einer dreieckigen Plastikhaube gegen Regen schützte, ihre frommen Gesten, die Gebete, die ihre Lippen murmelten, die Sanftheit und Rastlosigkeit in ihren Augen, die Art, wie sie die Ihren umhegte, die Sorge, die sie sich um sie machte, von all dem weiß ich nichts mehr. Und vom Kummer, den ihr Tod für mich bedeutete, noch weniger. Nichts bis auf eine nebulöse, zu Kopf steigende Zärtlichkeit, die verschwommene Erinnerung an meinen Kopf an ihrer Brust, die Spuren, die ihre bedächtigen Blicke auf meiner Haut hinterlassen haben. Nichts als das, was Antoine mir in den alkoholreichen Nächten auf seinen immer zu kurzen Zwischenstopps erzählte. Viel zu viele Tränen und unverständliche Worte, die ihn manchmal überwältigten, ein Brei aus unvollendeten Sätzen, in dem sich unsere Kindheit mit dem vermengte, was ich davon

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