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Klippen

Klippen

Titel: Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Adam
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Zimmer am Ufer des Tejo gemietet. Ich trank von abends bis morgens und von morgens bis abends und verließ das Haus nie ohne einen großen Regenmantel, in dessen weiten Taschen zwei, drei Reserveflaschen Platz fanden. Wir gingen durch die Straßen, ich halb betrunken und sie erschöpft davon, meinen Arm zu stützen. Die Treppen führten in schmale Gassen hinab, in denen sich ein Bild der Verwahrlosung bot. Claire nahm mich an der Hand, ich war betrunken und wie fremdgesteuert, hellsichtig und zugleich verloren. Alles erschien mir mit einem Mal so klar und strahlend, vielleicht allzu sehr, wie bei einer Blendung, einer Erscheinung des Herrn, einem Taumel, der durch den Alkohol und die Medikamente noch verstärkt wurde. Ich lief singend durch die Straßen, setzte mich auf Treppenstufen, fuhr mit der Hand über die glatte, staubige Oberfläche der azulejos. Ich lachte grundlos, rannte zum Fluss hinunter, blickte zum blendend hellen Himmel auf Claire betrachtete mich skeptisch, aber ohne Wut und ohne Vorwurf, manchmal meinte sie, ich sehe aus wie ein Verrückter, und ich erwiderte, diese Stadt sei mein Gehirn, und ich sei ein krankes Hirn in einer kranken Stadt. Tatsächlich befand ich mich am Rand des Wahnsinns, Hochgefühle und Niedergeschlagenheit von bislang nicht gekannten Ausmaßen wechselten einander ab. Lissabon hielt mir mit seinem langsamen Verfall den Spiegel vor. Wie die Stadt gab ich mich der Müdigkeit hin, ich resignierte, ließ mich gehen, lachte oder weinte, wenn mir nach Lachen oder Weinen zumute war, schrie in der Nacht. Claire lächelte zärtlich, wenn ich davon sprach, Schluss zu machen. Manchmal aber, wenn ich unter einem Baum saß und trank, starrte sie mich an und konnte die Tränen nicht ganz zurückhalten, und es machte mir nichts aus. Abends aßen wir in Bistros, in denen Stammgäste auf ölgetränkten Dorschhappen herumkauten und dabei fernsahen. Wir kehrten spät zurück, ich ließ mich aufs Bett fallen, und die Deckenbalken drehten sich. Ich fiel auseinander, und alles um mich herum schien aus den Fugen zu geraten. Claire sorgte für mich, sie zog mich aus, wie sie es in Paris schon so oft getan hatte, führte mich, wenn nötig, zum Kotzen auf die Toilette. Sie tat all diese Dinge mit einer solchen Milde und so wenig Stolz, dass ich sie dafür hasste, ich überhäufte sie mit Beleidigungen, und sie weinte. Ihr Gesicht war vom Weinen verquollen und rot, ich verdrehte ihr die Handgelenke, und sie wand sich. Mehrmals ohrfeigte ich sie. Sie kratzte und biss mich, und ihre Fingernägel hinterließen rote Schrammen auf meiner Haut. Mehrere Abende hintereinander schliefen wir so ein, atemlos, leer geweint und leer geschrien. Der Morgen brachte keine Erlösung. Wir machten weiter wie bisher, legten sogar noch eins drauf, und ich merkte, wie Claire allmählich den Boden unter den Füßen verlor. Was mich anging, weiß ich nicht, wie ich das merkwürdige Brodeln, das mein Gehirn aufquellen ließ, oder die Bilder, die mich verfolgten, beschreiben soll, alles lag lahm, nichts ergab einen Sinn, nichts hatte einen Zweck. Auf Geistesblitze folgten Angstzustände, Erleuchtungen gingen Panikattacken voraus, ich hatte ständig Anwandlungen von Paranoia, litt unter einer Art Verfolgungswahn, und alles entlud sich ausnahmslos gegen Claire, die immer nur einsteckte, stoisch, geduldig, tief bedrückt. Die Schleusen öffneten sich, es war, als würde alles, was eines Tages zerspringen sollte, dies jetzt tun, als würden die zerstörerischen Kräfte ihr Werk im Eiltempo verrichten. Ich zerfiel innerlich, mein Gehirn löste sich auf, die Dämme stürzten ein, ich war dem Zusammenbruch nahe. Ich weiß nicht mehr, aus welchem Grund ich Claire am letzten Abend nach unserer Rückkehr ins Hotel drohte, mich umzubringen. Ich beschimpfte sie nach Strich und Faden, warf ihr an den Kopf, dass sie mich nicht liebte, dass sie mich zerstören und demütigen wollte, dass ich ihren Nonnenblick und ihre widerliche Gutherzigkeit nicht länger ertragen könne, dass sie für mich eigentlich nur Mitleid übrig hatte und ich sie zum Kotzen fand. Danach entgleiste alles. Ich erinnere mich kaum noch an etwas, nur daran, dass ich wie der Blitz aus dem Haus schoss und vom Sterben faselte. Ich biss die Zähne zusammen, ballte die Fäuste, stürmte Treppen hinauf und hinunter, raste durch Straßen und über Boulevards. Ich marschierte, nur mit Unterhose und T-Shirt bekleidet, durch die Nacht, ich hatte das starke Gefühl, zu Staub zu

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