Kloster Northanger
hinwegkommen.«
»Ihr Bruder verdient natürlich im Moment unser ganzes Mitleid. Aber wir dürfen in unserem Mitgefühl für seinen Kummer auch Ihren nicht unterschätzen. Sie haben, nehme ich an, durch den Verlust Isabellas das Gefühl, eine Hälfte von sich selbst verloren zu haben; Sie haben das Gefühl, in Ihrem Herzen ist eine Leere, die nichts ausfüllen kann. Gesellschaft ist Ihnen lästig. Und was die gemeinsamen Vergnügungen in Bath angeht, an die Sie sich gewöhnt hatten, ohne Isabella widersteht Ihnen der bloße Gedanke daran. Sie würden jetzt zum Beispiel um nichts in der Welt auf einen Ball gehen. Sie haben das Gefühl, als ob Sie keine Freundin mehr hätten, mit der Sie unvoreingenommen sprechen, auf deren Achtung Sie bauen oder auf deren Rat Sie sich in allen Schwierigkeiten verlassen können. Haben Sie das Gefühl?«
»Nein«, sagte Catherine nach kurzer Überlegung, »das habe ich nicht … müsste ich es? Um ehrlich zu sein, es kränkt und schmerzt mich zwar, dass ich sie nicht mehr lieben kann, dass ich nie wieder von ihr hören, sie vielleicht nie wiedersehen soll, aber ganz so sehr, wie man hätte erwarten können, trifft es mich nicht.«
»Wie immer sind Ihre Gefühle ein Kompliment für die menschliche Natur. Solche Gefühle müssten näher untersucht werden, damit Sie selber wissen, was sie wert sind.«
Irgendwie fühlte sich Catherine nach diesem Gespräch erleichtert und bereute nicht, dass sie sich unerklärlicherweise dazu hatte hinreißen lassen, den Umstand zu erwähnen, der dazu geführt hatte.
Kapitel 26
Von nun an machten die drei jungen Leute dieses Thema immer wieder zum Gegenstand ihres Gesprächs, und Catherine stellte mit einiger Überraschung fest, dass ihre Freunde sich völlig darüber einig waren, dass Isabellas Mangel an gesellschaftlicher Stellung und Vermögen einer Heirat mit ihrem Bruder vermutlich erhebliche Schwierigkeiten in den Weg legen würde. Die Überzeugung, dass der General schon allein aus diesem Grunde und ungeachtet der Einwände, die sich gegen ihren Charakter vorbringen ließen, gegen die Verbindung sein würde, lenkte ihre Gedanken darüber hinaus mit einiger Besorgnis auf sich selbst. Sie war genauso unbedeutend und vielleicht genauso unvermögend wie Isabella. Und wenn nicht einmal der Erbe von Northanger genug Vornehmheit und Reichtum besaß, wie hoch mussten dann erst die Ansprüche des jüngeren Bruders sein? Die schmerzlichen Überlegungen, zu denen dieser Gedanke führte, ließen sich nur dadurch zerstreuen, dass sie sich auf die Wirkung jener ganz besonderen Beliebtheit verließ, die sie, wie sie aus seinen Worten und Handlungen schloss, zu ihrem Glück von Anfang an beim General genossen hatte, und sich einige höchst großzügige und uneigennützige Äußerungen seinerseits über das Thema Geld ins Gedächtnis zurückrief, die er mehrmals in ihrer Gegenwart gemacht hatte und die ihr nahelegten, dass seine Kinder seine Einstellung zu diesen Dingen missverstanden.
Die beiden waren dagegen völlig davon überzeugt, dass ihr Bruder gar nicht den Mut haben würde, persönlich die Zustimmung seines Vaters einzuholen, und versicherten ihr so oft, dass ein Besuch seinerseits in Northanger nie in seinem ganzen Leben unwahrscheinlicher gewesen war als zum gegenwärtigen Zeitpunkt, dass sie sich von der Notwendigkeit ihrer plötzlichen Abreise abbringen ließ. Da man aber nicht damit rechnen konnte, dass Hauptmann Tilney, wenn er seinen Antrag stellte, seinem Vater eine zutreffende Vorstellung von Isabellas Verhalten geben würde, erschien es ihr unbedingt notwendig, dass Henry ihm die ganze Angelegenheit, so wie sie wirklich war, darstellte, damit der General sich seine eigene unparteiliche Meinung bilden und seine Einwände durch etwas anderes als bloßen Mangel an Ebenbürtigkeit rechtfertigen konnte. Das schlug sie ihm daher vor, aber er ging darauf nicht so begeistert ein, wie sie erwartet hatte. »Nein«, sagte er, »man braucht meinem Vater nicht zu Hilfe und Fredericks Bekenntnis seiner Torheit nicht zuvorkommen. Er muss seine eigene Geschichte erzählen.«
»Aber er wird nur die Hälfte erzählen.«
»Ein Viertel würde reichen.«
Ein oder zwei Tage vergingen und brachten keine Neuigkeiten von Hauptmann Tilney. Sein Bruder und seine Schwester wussten nicht, was sie davon halten sollten. Mal schien es ihnen, als ob sein Schweigen die natürliche Folge der befürchteten Verlobung, dann wieder, als ob es damit überhaupt nicht in Einklang
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