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Klostergeist

Titel: Klostergeist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silke Porath
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wir selten.« Meistens, erklärte Schmuck, komme dann doch ein Organist, aber die Orgel in der Aussegnungshalle gebe nun einmal keinen so vollen Klang wie die Dolby Surround Anlage.
    »Der Kirchenchor singt ja auch noch«, sagte Pius und kramte sein Redemanuskript aus der Mappe. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er noch eine knappe Dreiviertelstunde Zeit hatte. »Ich sehe mal nach Frau Engel«, erklärte er Schmuck.
    Der nickte stumm und griff nach einer CD.
    Das Bild im Abschiedsraum hatte sich nicht geändert. Als wären sie zwei Statuen, hatten die beiden Frauen in ihrer Pose verharrt. Pius räusperte sich und klopfte leise gegen die Tür. Langsam, fast wie in Zeitlupe, drehten die beiden Damen die Köpfe.
    »Grüß Gott«, flüsterte Evelyne. Der kleine schwarze Hut mit dem angedeuteten Schleier saß schief auf den frisch gewellten Locken. Das Seidenkostüm raschelte, als die Bankersgattin dem Pater die Hand reichte. Die Finger steckten in schwarzen Handschuhen.
    »Kann ich dich einen Moment alleine lassen?«, fragte Evelyne Engel die Witwe. »Ich soll mich mit Jens-Uwe treffen, um die Stuttgarter Delegation zu begrüßen.«
    Marlies Engel schloss die rot geränderten Augen und nickte stumm. Auf klackernden Absätzen rauschte Evelyne davon.
    »Wie geht es Ihnen?«, fragte Pius und zog einen zweiten Stuhl neben den der Witwe.
    Als Antwort erhielt er ein ersticktes Schluchzen. Marlies Engel knetete die im Schoß gefalteten Hände so stark, dass die Knöchel weiß hervortraten. Das schwarze Kostüm wirkte etwas zerknittert, und unter dem nach oben gerutschten Rock erkannte Pius eine kleine Laufmasche. Tröstend legte er seine Hand auf die der Witwe.
    Schweigend starrten beide auf den Sarg. Minuten verstrichen, in denen Pius die roten Rosen im Sargbouquet zählte, er kam auf 50 Stück, die Maserung des Sarges betrachtete, sie als Eiche hell, massiv erkannte, und den rechts und links neben dem Sarg aufgestellten Kerzen, insgesamt zehn, beim Flackern zusah.
    »Wollen Sie beten?«, fragte er schließlich.
    Marlies Engel schüttelte stumm den Kopf. Dann räusperte sie sich und begann mit zitternder Stimme zu sprechen. »Ich durfte ihn nicht noch mal sehen. Der Sarg war schon geschlossen«, weinte sie und rang um Fassung. »Jetzt weiß ich nicht einmal, was sie ihm angezogen haben.« Marlies Engel schlug die Hände vors Gesicht. Die Wimperntusche war offenbar nicht wasserfest, denn kleine schwarze Linien zogen sich über die blassen Wangen der Trauernden.
    »Und die ganze Zeit muss ich daran denken, wie er gefallen ist. Was hat er gedacht in seinem letzten Moment? Hatte er Angst? Ich sehe immer dieses Bild, das schwarze Nichts, und er fällt und fällt«, Marlies presste eine Faust vor den Mund und unterdrückte einen Aufschrei. »Verstehen Sie? Das lässt mich nicht los, ich meine, ich höre immer das Geräusch, wenn sein Körper auf den Kies knallt.«
    Pius legte einen Arm um die Witwe, deren Schultern von heftigem Schluchzen gebeutelt wurden. Was sollte er sagen? Dass ihr Mann nun geborgen in der Güte Gottes war? Dass er nichts gespürt hatte, sofort tot gewesen war? Das alles kam ihm so platt und nichtssagend vor. Pius schwieg und wartete, bis das Schluchzen leiser wurde.
    Hinter ihnen waren gedämpfte Schritte zu hören. Pius wandte sich um. Die vier Sargträger, rekrutiert unter den stärksten Männern der Freiwilligen Feuerwehr, standen vor der Tür.
    »Es wird Zeit«, flüsterte der Pater.
    »Einen Moment noch, bitte«, hauchte Marlies Engel und stand auf. Mit zitternden Knien ging sie zum Sarg. Legte die Hand auf das Holz und strich zärtlich darüber. Zupfte an einer Rose, die sich ein wenig aufgerichtet hatte. Dann straffte sie die Schultern, wischte sich mit dem Handrücken die Tränen ab und nickte den Sargträgern zu. Hoch erhobenen Hauptes und mit verschlossener Miene verließ sie den kleinen Raum. Ihre Schritte waren fest und ausladend, als sie den Gang in der großen Halle entlangschritt.
     
    Radio Donauwelle, euer Sender für Tuttlingen und den ganzen Landkreis. Wir schalten gleich live nach Spaichingen, wo Kollegin Anja für euch von der Beerdigung von Manfred Engel berichten wird. Leider hat die Live-Schalte nicht geklappt, aber wir halten euch auf dem Laufenden, was die Ermittlungen zum mysteriösen Tod des Spaichinger Bürgermeisters angeht!
    Unser Werbepartner Optik Suttner wünscht euch allen einen schönen Tag. Die Sonne hat es ja nun doch noch durch die Wolken geschafft. Passend zum Wetter

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