Klostergeist
Fischer ein Zeichen. Der seufzte leise und nahm seine Hand von ihrer Schulter. Verena tat, als sei das alles völlig normal, und schaffte es tatsächlich, das Kribbeln in ihrem Bauch hinter dem professionellen Gesichtsausdruck zu verbergen. So leise sie konnten, schlichen die Kommissare hinaus. Draußen, unter der riesigen Leinwand, standen schweigend all jene Bürger beisammen, die keinen Platz in der Kapelle gefunden hatten. Die Kommissare schlängelten sich an der Friedhofsmauer und der Lourdes-Grotte – einer für Fischer geschmacklich kaum zu überbietend hässlichen künstlichen Minihöhle mit Marienstatue darin, die Verena wiederum ganz bezaubernd fand – vorbei zum Parkplatz.
»Wir fahren schon mal ins Lokal«, beschied Verena und gab Gas. »Zu blöd, dass die Beweise nicht ausreichen«, murmelte sie.
Drei Minuten und 14 Sekunden, schätzte sie, würden sie brauchen. Das Nusshörnchen, das sie auslobte, löste sich allerdings beim Einbiegen auf die Hauptstraße in Krümel auf: Nur mit der sprichwörtlichen Brechstange gelang es der Kommissarin, das Auto in den beinahe stehenden Verkehr einzufädeln. Im Schritttempo klebten sie hinter einem Wohnwagengespann aus Holland. Verena lag ein Scherz über die nimmermüden Camper auf der Zunge, die auch im Winter Richtung Bodensee gondelten. Thorben sprach kein Wort, sondern starrte aus dem Beifahrerfenster. Verenas Hand wollte ihm durch die Haare wuscheln, aber sie verbat sich jeden privaten Gedanken.
Fischer schielte aus den Augenwinkeln zu Verena, die konzentriert den Wohnwagen vor sich anstarrte. Er registrierte ein Ziehen in seiner Lendengegend, das da angesichts seiner Chefin eigentlich nicht hingehörte.
Trotzdem – er strahlte Verena an, als sie den Wagen auf die Hauptstraße lenkte und schließlich über den Schleichweg der parallel verlaufenden Hindenburgstraße das Gasthaus ›Löwen‹ ansteuerte. Dort, im großen Festsaal, der sonst Hochzeiten und Fasnetsveranstaltungen beherbergte, sollte der Leichenschmaus stattfinden. Die Grablegung selbst würde auf Wunsch der Witwe an einem nicht bekannten Termin im engsten Familienkreis stattfinden – sehr zur Erleichterung des Friedhofsgärtners, der schon die Massen über die Gräber hatte trampeln sehen.
»Die müssten so in einer halben Stunde hier sein«, sagte Verena mit Blick auf die Uhr.
»Wir können ja schon mal reingehen und einen Kaffee trinken«, schlug Fischer vor. »Und was Kleines essen, ich lade dich ein.«
Erstaunt blickte Verena ihren Kollegen an – und war noch erstaunter, als sie das kindliche Blitzen in seinen Augen entdeckte. Hatte Thorben Fischer schon immer dieses umwerfende Lächeln gehabt? Mit Ach und Krach quetschte Verena den Wagen in eine halbe Parklücke. Sie hatte gesehen, dass die Ordnungsbeamtin bei der Trauerfeier gewesen war – einen Strafzettel hatte sie heute sicher nicht zu befürchten.
Radio Donauwelle mit eurem Tom am Mikro! Ja, Leute, auch heute ist alles wieder ein bisschen anders: Eure Mittagsfrau Anja kommt per Telefon ins Studio und wird von der Beerdigung des Spaichinger Bürgermeisters Manfred Engel berichten.
Bis dahin müsst ihr mit mir vorliebnehmen. Vielleicht tröstet euch ja der Blick aus dem Fenster: Für November ist es da draußen erstaunlich hell. Damit ihr nicht geblendet werdet, hat unser Werbepartner Optik Gebrüder Karl ein Angebot für euch: Sonnenbrillen namhafter Hersteller zum Outlet-Preis plus Gleitsichtgläser in eurer Sehstärke oben drauf.
Und noch ein Hinweis von unserem Werbepartner Optik Suttner: Die kostenlosen Brezeln sind im Moment nicht verfügbar, stattdessen serviert das freundliche Team zum Gratis-Sehtest Kaffee und Mohnschnecken. Die wünscht sich sicherlich auch unser Hörer Hartmut aus Krauchenwies, aber nicht nur für sich, sondern ganz besonders für seine bessere Hälfte Waltraud. Hier sind › Sweets for my Sweet ‹ von C.J.Lewis.
Pater Pius stieß die Rosine, die sich zwischen seinen Schneidezähnen verfangen hatte, mit der Zunge an. Den letzten Happen vom Hefezopf spülte er mit lauwarmem Kaffee aus der Pumpkanne hinunter. Wie er diese Plörre hasste – nie heiß, immer bitter und stets dünn wie zweimal aufgebrühter Beuteltee. Im Stillen dankte der Pater seinem Herrn für die Erfindung der Vollautomaten.
Die Gespräche der Trauergäste, die den Saal im Gasthaus ›Löwen‹ bis auf den letzten Platz belegten, drangen wie Rauschen an seine Ohren. Dann und wann war unterdrücktes Lachen zu hören
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