Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Artikels in den Nürnberger Nachrichten zur Rede
gestellt hatte. Aber ohne Zebischs Anruf im rechten Moment hätte er diesen
abgekieften Fingernagel wahrscheinlich nie gefunden. Andererseits hätte er
jetzt noch halbwegs saubere Klamotten, wenn dieser Doldi von Anwärter ihn nicht
so unsanft aus seiner Kontemplation gerissen hätte. Das musste man auch mal
sehen. Oder etwa nicht?
Zu der seltsamen Mischung aus Wut und Siegesgewissheit gesellte sich
plötzlich das Gefühl der Unsicherheit und des schlechten Gewissens.
Als er aus dem Wagen gestiegen war, spürte er den leichten
Nieselregen. Er versuchte tief einzuatmen, was nicht recht gelingen wollte.
Seine Nase war einfach zu verstopft.
Er hatte bestimmt zwei Minuten lang Sturm geklingelt, bis sich
endlich jemand an der Gegensprechanlage gemeldet hatte.
»Hallo?«, fragte eine gequälte Stimme.
»Ich bin’s. Werner.«
»Wer?«
»Mein Name ist Klotz. Werner Klotz.«
»Dass du dich hierhertraust!«
Der Türöffner summte. Klotz betrat das Haus.
»Im Kühlschrank ist noch Bier.«
Klotz ging in die Küche und versuchte sich über den etwa anderthalb
Meter hohen Stapel aus alten Pizzaschachteln, der hinter der Tür in der Ecke
lehnte, nicht zu wundern. Ging zurück ins Wohnzimmer. Sah zu Lackner, der sich
aufs Sofa gelegt hatte.
An der Decke ein Spiel aus hellblauem Licht, das wilde Kapriolen
schlug.
Klotz überlegte kurz, ob er den Lichtschalter betätigen sollte, ließ
den Gedanken nach einem Blick auf die verzückte Miene des Gerichtsmediziners
dann aber fallen. Stattdessen ging er zu einem der Fenster und schaute hinüber
zum Hallenbad, von dem diese Reflexion an der Wohnzimmerdecke herrührte. Er sah
einen rüstigen alten Mann, der vom Dreimetersprungturm ins Wasser hüpfte, und
nahm einen Schluck aus seiner Bierdose.
Lackner schwieg. Glotzte auf das Lichtspiel an seiner Decke. Klotz
wusste nicht recht, wie er anfangen sollte.
»Und alles klar bei dir, Ron?«, suchte er unverbindlich das
Gespräch.
Lackner machte keinerlei Anstalten, irgendetwas zu erwidern. Klotz
nahm die ungewollte Pause zum Anlass, sich umzusehen. An den Wänden hingen
gerahmte Poster von den Beatles, The Who, Steppenwolf und anderen Bands aus den
Sechzigern und Siebzigern. In den Ecken und auf den Fensterbänken fristeten ein
paar verstaubte Kunstpflanzen ihr Dasein, irgendwelche Farne und
Kräutergewächsimitationen. Zuletzt fiel sein Blick auf die zur Hälfte
ausgetrunkene Flasche Bacardi, die auf einem niedrigen Glastisch stand. Ihm
fiel unweigerlich die Werbung zu diesem alkoholischen Produkt ein. Er sah tanzende,
in den Hüften wippende Südamerikanerinnen vor sich und hatte diese Musik im
Ohr. What I’m feelin’ it’s never been so easy . Dann sah er auf Lackner, der gerade trank. Klotz wusste nicht, ob er
lachen oder weinen sollte.
»Nur deswegen«, sagte Lackner, als er das Glas abgesetzt hatte, »nur
deswegen hab ich sie genommen, die Wohnung.«
Lackner deutete mit dem Flaschenhals in Richtung Decke.
»Wenn ich abends nach Hause komme, dann leg ich mich hierher und
sehe stundenlang in dieses Blau, in dieses Licht, in dieses ferne Glück.«
Macht Sinn, dachte Klotz unbestimmt und strich den Staub von einem
Blatt aus Kunststoff. Überlegte kurz, ob er es abreißen und hineinschnäuzen
sollte.
»Jeden Tag diese Leichen, dieses Blut, dieser Siff aus Innereien und
abgetrennten Gliedmaßen. Ich weiß nicht, ob du mich verstehen kannst«, sprach
Lackner weiter.
Die beiden prosteten sich wortlos zu und nahmen einen Schluck.
Na klar konnte er ihn verstehen. Lackner war ein heilloser Eskapist.
Aber waren sie das nicht alle irgendwie? Letztendlich kam es doch nur darauf
an, wie man seine Realitätsflucht lebte. Lackner hatte sich für den Alkohol und
eine hellblau flimmernde Decke entschieden. Klotz an seiner Stelle hätte dem
Alkohol nicht ganz so exzessiv gefrönt und statt der Flasche Bacardi diese
Sexbombe von Lilly Hammer auf den Tisch gestellt. Lackner, Lackner. Was bist
du bloß für ein Idiot!
»Natürlich ist dein Job nicht leicht.«
Der sollte mal froh sein, dass er an der Seite einer attraktiven
Blondine in Ruhe an seinen Leichen rumschnippeln konnte. Sie konnten ja mal
eine Woche tauschen. Da würde er ihn sehen wollen.
Langsam ging ihm Lackners Selbstmitleid auf den Geist. Dennoch
versuchte er den einfühlsamen Ton seiner Rede beizubehalten:
»Ich war noch mal am Tatort und hab etwas gefunden. Vielleicht
könntest du …«
»Worum geht’s?«, fragte
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