Klotz, Der Tod Und Das Absurde
anrief, aß er aber erst noch seine
Currywurst. So viel Zeit musste sein.
Als er den Hörer abgenommen hatte, wartete er noch einige Sekunden,
bis er die Nummer wählte. In seinem Geiste zwängte er sich in ein Korsett aus
offizieller Selbstdisziplin und dienstlichem Gehabe.
Das Gespräch verlief doch besser als erwartet. Natürlich hatte die
Gulden ihm vorgeworfen, dass er sie mal wieder nicht rechtzeitig über den Stand
der Ermittlungen informiert habe. Außerdem erinnerte sie ihn an die
Zweitagesfrist, die sie ihm für die Aufklärung des Falles gestern Morgen
gestellt hatte. Sie waren sich aber beide klar darüber, dass sie vor der Presse
morgen eine Linie fahren würden.
Bevor er bei Melanie anrufen würde, wollte er dieses angenehme
Gefühl in der Magengegend noch ein wenig auskosten. Er warf die Stereoanlage an
und setzte sich aufs Sofa. Wieder sah er auf das Bild von Millais. Sah auf die
feinen Gesichtszüge des Mädchens, das seine Augen geschlossen hatte. Als er die
Fernbedienung für den CD -Player in
die Hand nahm, blickte er kurz auf den Boden. Irgendetwas war da im Augenwinkel
gewesen: Er stand auf und ging zu der Tür, die in den Flur führte. Dann zog er
das Foto unter der Tür hervor. Es musste während Mutters Aufräumaktion aus den
Akten herausgefallen sein. Warum bloß hatte er es vorhin nicht gesehen?, fragte
er sich, und ihm fiel wieder die Geschichte mit dem Dienstausweis ein, den er
so panisch gesucht und ganz zufällig gefunden hatte.
Er ging zurück zum Sofa und legte das Foto auf den Couchtisch.
Zappte »Losing Streak« von Eels an. Schloss die Augen und dachte an Melanie.
Was I wrong about the world? / It’s a beautiful new place / Where
else could a creep like me / Meet such a pretty face?
20. Dezember
Sind Sie noch ganz bei Trost, Klotz? Was haben Sie sich
eigentlich dabei gedacht? Denken! Wissen Sie überhaupt, wie das geht, denken?«
Klotz, der wie ein begossener Pudel vor dem wütend schnaubenden
Polizeipräsidenten saß, blickte zur Wand. Er betrachtete das Foto eines
lächelnden Innenministers und das große bayerische Staatswappen, das neben dem
Politiker hing.
»Sehen Sie mich gefälligst an, wenn ich mit Ihnen rede!«
Klotz murmelte etwas, was so ähnlich wie »Entschuldigung« klang, und
blickte in zwei rot unterlaufene Augen, umgeben von einem gut durchbluteten
Gesicht.
Er konnte nicht gerade behaupten, dass es ihm leidtat, was da auf
der Pressekonferenz geschehen war. Es war einfach zu verlockend gewesen, einen
seiner bahnbrechenden Einfälle öffentlich zu machen. So öffentlich, dass es
nicht mehr öffentlicher ging, um genau zu sein. Unter dienstlichen
Gesichtspunkten hatte er natürlich grob fahrlässig gehandelt. Das musste er
sich eingestehen. Und im Moment auch ausbaden. Hoffentlich kam es nicht zu einer
vorläufigen Suspendierung.
Dabei hatte die Pressekonferenz so gut begonnen. Sie hatten zunächst
die Ergebnisse der Kriminaltechnik, den rechtsmedizinischen Befund und die
Vernehmungsprotokolle zusammenfassend vorgetragen. Bei der Darstellung des
Tathergangs hatte er besonders auf die von der Staatsanwältin gewünschte
Ergebnisorientiertheit geachtet. Täterwissen wurde verschwiegen. Doch als einer
der Journalisten, es handelte sich dabei um den Reporter einer Lokalzeitung für
das Nürnberger Umland, von der »Bizarrerie« der Tat sprach, konnte sich Klotz
nicht zurückhalten, und er gab an, ein professioneller Fallanalytiker aus
München sei bereits auf dem Weg hierher in die fränkische Landeshaupt… in das
schöne Nürnberg, um eben diese »Bizarrerie« unter die Lupe zu nehmen.
Frau Staatsanwältin Gulden hatte das gar nicht gut gefunden. Außer
einem zutiefst irritierten Seitenblick, den nur Klotz als einen solchen
erkannte, hatte sie keine weiteren Signale ausgesendet und Haltung bewahrt.
Sobald die Konferenz beendet war, hatte sie dann allerdings geradewegs den
Polizeipräsidenten aufgesucht.
»Ist Ihnen eigentlich klar, was Ihr Handeln, Ihr dilettantisches
Vorgepresche für Konsequenzen haben kann? Und zwar nicht nur für Sie!«, tobte
Huber weiter.
»Es tut mir leid. Natürlich. Ich hätte das vorher mit der Frau
Staatsanwältin abklären sollen. Aber ich …«
»Aber ich was ? Sie hatten die
Gelegenheit. Gestern Abend noch, als Sie mit Ihrer Vorgesetzten telefoniert
haben. Ich sage Ihnen eines, Klotz, das war das letzte Mal, dass Sie so einen
verdammten Alleingang unternommen haben. Die Konsequenzen werden Sie ganz
alleine tragen. Ich
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