Klotz, Der Tod Und Das Absurde
Anhaltspunkte. Da
würde sie allerdings bis zum 2. Januar warten müssen, wenn es wieder ganz
offiziell losgehen würde.
Noch einmal schlug sie das rote Notizbüchlein von Jürgen Schulze
auf. Nachdem sie auf Veranlassung von Klotz zu Frau Schulze gefahren war, hatte
diese ihr das Corpus Delicti kommentarlos zugesteckt. Heimlich und verstohlen.
Ohne dass die Beamten, die dort vor Ort waren, etwas davon mitbekommen hatten.
Die Herren hatten sich ihr gegenüber als Sonderermittler einer Spezialeinheit
des Bundeskriminalamts vorgestellt. Irgendwie war ihr das Ganze doch reichlich
dubios erschienen. Das BKA durchsucht das Haus einer alten, verängstigten Frau? Die Antwort musste in dem
Notizbüchlein liegen. Mit Frau Schulze hatte sie nicht reden können. Die fragil
wirkende Frau hatte sie schnell wieder nach draußen geschickt.
Sie sah sich Jürgen Schulzes Aufzeichnungen an. Elisa Morvan.
Geboren am 1. Juni 1958, gestorben am 23. Juni 1988. Dann eine Skizze. Links
das Wort »Täter«, daneben das Profil einer Art Mauer, hinter der Mauer, auf der
rechten Seite, »Barnikol, Kaumann«. Darunter in Klammern: »Staatsschutz?«
Auf einer anderen Seite fand sie den Namen von Klotz’ Vater. Welche
Rolle spielte der Gerichtsmediziner in der Angelegenheit? Und welche Rolle sein
Sohn, Werner Klotz? Wieder fiel ihr der Tag ein, an dem sie gemeinsam bei
Fröhling gewesen waren. Diese seltsame Skizze mit dem Pyramidengrabmal. Und
dann die Anschrift des Rochusfriedhofs. Klotz, dessen Familiengrab sich dort
befand. Klotz, der vom Mörder bedroht wurde.
Sie steckte das Notizbuch ein und ging rüber in das Büro von
Escherlich und Klotz.
Ein bisschen Überwindung hatte es sie anfangs schon gekostet. Aber
als sie dann die erste Schublade geöffnet hatte, war es ganz leicht gegangen.
Der Inhalt dieses Schreibtisches ist mehr als skandalös, ging es ihr
durch den Kopf, als sie zwischen einer zerfledderten Musikzeitschrift und einer
abgelaufenen Packung Lebkuchen ein verschrumpeltes Etwas herauszog, von dem sie
annahm, dass es sich um eine jahrhundertealte Bananenschale handelte. Sie
überlegte, ob sie sich nicht lieber ein Paar Aidshandschuhe überziehen sollte.
Wer konnte schon wissen, was sie hier noch erwartete? Vielleicht ein
Pizzakarton, in dem sich eine Gruppe Kakerlaken versammelt hatte, oder
vielleicht ein gebrauchter Slip? Ihr schauderte bei dieser Vorstellung.
Das einzig Interessante, was sie schließlich fand, waren zwei
Phantombilder inklusive Täterbeschreibungen, von diesem Ehepaar Böhner und von
dem inhaftierten Fröhling. Sie steckte die Papiere ein und verließ die
Abteilung.
Im Treppenhaus des Hauptgebäudes begegnete ihr Huber, der von seinem
Büro zu kommen schien.
»Guten Morgen, Frau Haevernick. Was führt Sie denn hierher?«
»Äh, der Tatortbefundbericht. Barnikol, Kaumann.«
»Schön, schön. Aber werden Sie mal nicht zu übereifrig. Ihr Mann zu
Hause möchte sicher auch noch etwas von Ihnen haben.«
Huber lachte gekünstelt, warf dabei einen kurzen, lüsternen Blick auf
Haervernicks Dekolleté, den die Oberkommissarin wohl registrierte.
»Also, Herr Polizeichef. Ich muss dann mal weiter. Wiedersehen.«
»Ja. Auf Wiedersehen.«
Haevernick saß in einem Café und starrte auf ihre Latte macchiato
mit Karamell. Der Sirup bildete eine dunkle Schicht am Grund des Glases. Würde
sich erst dann mit dem hellen Milchkaffee verbinden, wenn sie den langstieligen
Löffel nehmen und umrühren würde. Sie überlegte, ob sie das tun sollte oder ob
sie die Latte einfach, ohne umzurühren, trinken sollte. Das tat man nicht, das
wusste sie, aber irgendwie hatte sie keine Lust, diese dunkle, in sich ruhende
Schicht am Boden aufzurühren, durcheinanderzubringen. Worüber denke ich da bloß
nach, ertappte sie sich selbst bei ihren abstrusen Gedanken. Es gibt da ganz
andere Prioritäten. Und sie legte das rote Notizbuch vor sich auf den Tisch.
Schlug es auf.
Sie durfte einfach nicht mehr aufs Geratewohl vorgehen. Musste sich
endlich dazu entschließen, eine klare Annahme zu formulieren. Konzentrieren,
verstehen, interpretieren.
Also. Im Jahre 1988 war eine Elisa Morvan umgebracht worden. Das war
klar. Jürgen Schulze hatte offensichtlich angenommen, dass die beiden Beamten
für den Staatsschutz tätig waren. Eine Mauer zwischen dem Staatsschutz und dem
Täter – was konnte das bedeuten? Eine Grenze, eine Trennung? Das ergab keinen
Sinn. Sollte diese Mauer eine Art Schutz symbolisieren? Hatte der Staatsschutz
den
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