Klotz, Der Tod Und Das Absurde
zugelassen waren. Mit dem
Vornamen Paul kombiniert existierten lediglich zwei Anschlüsse. Einer in
Karlsruhe und der andere in Wendelstein, einer Gemeinde, die direkt an
Nürnbergs Süden anschloss.
Haevernick stieg in ihren Wagen. Sie öffnete ihr Haar, kontrollierte
ihr Aussehen im Spiegel und stellte fest, dass sie dringend zum Friseur musste.
Dann drehte sie den Zündschlüssel um und fuhr los.
In der Au, Hausnummer fünf, war ein niedriges, altes Bauernhaus mit
einem Sandsteinsockel und Fachwerk. Haevernick klingelte zwei-, dreimal. Keine
Reaktion. Dann hörte sie ein schabendes Geräusch, das von einem Husten
unterbrochen wurde. Sie hatte den Eindruck, dass diese Geräusche aus einem
Bereich kamen, der sich hinter dem Haus befand. Sie öffnete die metallene
Gartentür und ging einen gepflasterten Weg an dem Haus entlang. Aus einer
Fichte, die sie streifte, stoben ein paar Kohlmeisen auf. Wieder vernahm sie
das schabende Geräusch.
»Hallo? Herr Schrein?«
Das Schaben hörte auf. Husten.
»Ja?«
»Herr Schrein?«
»Hier hinten bin ich!«
Haevernick bog um die Ecke und sah einen hageren alten Mann, der in
einer grauen Arbeitsmontur steckte. Neben ihm stand eine Schubkarre mit
Mörtelputz. Als der Mann Haevernick erblickte, legte er seine Kelle auf die
Schubkarre und fuhr sich mit beiden Händen über den Kopf, um seine spärlichen
Haare, die wie durcheinandergeratenes Gefieder in alle möglichen Richtungen
abstanden, glatt zu streifen.
»Von Zeit zu Zeit muss das Fachwerk nun mal gerichtet werden«, sagte
Herr Schrein, »und ein milder Winter wie der diesjährige eignet sich ganz
besonders hierzu.«
Schrein lächelte und sah zufrieden auf eine frisch verputzte Fläche,
die von alten Eichenbalken umrahmt wurde. Nach ein paar Sekunden wandte er sich
wieder Haevernick zu.
»Wer sind Sie, und was wollen Sie hier? Wenn Sie mir irgendwas
verkaufen wollen, dann können Sie gleich wieder gehen.«
»Nein, nein, keine Sorge. Ich heiße Haevernick, Kripo Nürnberg.«
»Kriminalpolizei? Hab ich irgendwas angestellt?«
»Es geht um eine Sache, die schon einige Zeit zurückliegt. Sagt
Ihnen der 23. Juni 1988 irgendetwas?«
Schreins Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an. Er sah Haevernick
für einige Sekunden tief in die Augen.
»Am besten, wir gehen ins Haus.«
Schrein schenkte Haevernick von dem frisch gebrühten Kaffee ein.
Dann stellte er die Kanne zurück auf die Wärmeplatte und setzte sich an den
Küchentisch. Aus einer Holzschachtel nahm er einen Zigarillo, steckte ihn in
den Mund und entzündete ihn mit einem Streichholz.
»Tja. Der Fritz …«, fing Schrein an.
»Friedrich Reblein«, präzisierte Haevernick.
»Ja. Der Friedrich, der war unser Polier damals.«
»Was ist damals passiert?«
»Da war dieser«, Schrein hielt kurz inne, »Unfall. Auf der
Baustelle. Ich hab’s ja nicht wirklich mitbekommen. Der Fritz hat’s mir nur
erzählt. War immer der Erste auf der Baustelle. Musste er ja sein, als Polier.«
»Was hat Reblein Ihnen erzählt?«
»Er war auf die Baustelle gekommen, wie jeden Morgen. Da hat er
diese Frau da liegen sehen. Alles war voller Blut gewesen, hat er gesagt. Und
da war noch …«
»Was?«
»Dieses Kind. Vier oder fünf Jahre alt muss der Junge gewesen sein.
Saß auf dem Schoß seiner toten Mutter. Hat nicht geweint, gar nichts. Saß nur
stumm da. Völlig blutverschmiert. Hat in den Himmel gestarrt. Bis dann die
Polizei gekommen ist und ihn mitgenommen hat. So hat’s der Fritz mir erzählt.
Als ich dann kam, war schon alles abgesperrt. Ich hab mit dem Fritz über die
Sache abends am Telefon gesprochen. Da hat er mir das alles erzählt.«
Schrein stieß ein paar kurze, trockene Huster aus. Dann nahm er
einen tiefen Zug von seinem Zigarillo.
»Am nächsten Tag war er tot«, fügte Schrein hinzu.
»Friedrich Reblein?«
»Ja, der Fritz war tot. Wir waren alle ziemlich geschockt, als wir
von dem Unfall erfuhren. Konnten uns das gar nicht richtig erklären, wo er doch
so ein guter Autofahrer war. Er ist gegen einen Laster geknallt. Soll schnell
gegangen sein. Zumindest hat er nicht lange leiden müssen, hat man uns gesagt.«
Haevernick starrte auf die Kaffeetasse in ihrer Hand. Die Sache nahm
plötzlich Konturen an, trat aus dem Dunkel heraus, aus einer nebulösen,
undurchsichtigen Masse. Langsam, aber sicher.
Sie nahm einen ordentlichen Schluck, stellte die Tasse auf den
Untersetzer zurück und kam zu ihrer nächsten Frage.
»Sagt Ihnen der Name Jürgen Schulze
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