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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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alles hinein und eilt zurück in sein Zimmer. Dort setzt er sich vor einen Spiegel und färbt sich mit dem Peroxid des Mädchens die Haare blond. Als Nächstes benutzt er ihren Augenbrauenstift und ihr Make-up. Zum Schluss geht er in Egans Zimmer, der immer noch seinen Rausch ausschläft, und rasiert ihm den Schädel.
    Später am Abend gehen Willie und Egan in den Central Park. Egan steht Schmiere, während Willie eines der Gläser ausgräbt. Zehn Riesen. Willie staunt, wie viel besser, wie viel sicherer er sich mit Geld in der Tasche fühlt. Sie fahren mit der U-Bahn in die Lower East Side. In einer durchgehend geöffneten Flüsterkneipe an der Avenue A nehmen sie ihre erste richtige Mahlzeit seit zwei Tagen ein. Willie lässt Egan zwei Whiskey trinken, um seine Nerven zu beruhigen, aber nicht mehr.
    Warum sind wir ausgerechnet in diesem Stadtteil?, fragt Egan.
    Ich hab mal gelesen, dass die Cops nicht gern hier runterkommen. Zu viele Zigeuner. Damit ist es der ideale Ort für das, was wir tun müssen.
    Nach dem Essen streifen sie durch die dunklen Straßen und Seitengassen, spähen in abgestellte Autos. Sie entdecken einen Chrysler mit Schlüssel im Zündschloss. Eine dicke Frau in einem gesteppten Morgenrock, die auf der Feuertreppe sitzt und eine Tonpfeife raucht, beäugt sie. Als sie hineingeht, springen sie in den Chevy und fahren davon.
    Willie schaltet in den dritten Gang, rast den East River Drive entlang und erklärt Egan, dass es Zeit wird, getrennte Wege zu gehen. Wo wohnt dein Bruder?
    Egan nennt Willie eine Adresse in Hell’s Kitchen. Willie biegt in die Tenth, schlängelt sich durch den Verkehr, biegt rechts ab und entdeckt die Nummer auf einem Briefkasten. Ein Zweifamilienhaus, an der linken Tür hängt ein Weihnachtskranz. Beim Einparken fährt er fast eine Mülltonne um.
    Lass dich nicht sehen, sagt er zu Egan. Und lass die Finger vom Alk. Ich melde mich.
    Willie lässt den Motor laufen, während Egan zur Haustür geht, der Tür ohne Kranz, und klopft. Ein Mann mit rötlich braunem Haar öffnet. Er und Egan wechseln ein paar Worte, dann schiebt der Mann Egan beiseite, kommt den Gehweg runtergerannt und brüllt Willie an: Können Sie mir sagen, was Ihnen eigentlich einfällt?
    Nicht so laut, Mister. Ich setze Ihren Bruder bei Ihnen ab.
    Den Teufel werden Sie tun. Eher können Sie mir vor die Tür scheißen.
    Egan schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und kommt den Gehweg herunter. Mein eigener Bruder, jammert er.
    Halt die Klappe, sagen der Bruder und Willie gleichzeitig.
    Der Bruder bückt sich und mustert Willie durchs Fahrerfenster. Mr Sutton, nehme ich an? Freut mich. Ich habe Ihre Heldentaten mit großer Bewunderung verfolgt. Scheißbanken. Aber diesen Säufer lassen Sie mir nicht hier. Verschwindet.
    Willie starrt geradeaus. Tut mir leid, mein Freund. Ich bin so weit mit ihm gegangen, wie ich kann.
    Ich fürchte, Sie müssen noch ein bisschen weiter gehen, mein Freund. Sonst melde ich den Cops Ihr Kennzeichen und Ihren Verbleib, und zwar mit gutem Gewissen, das verspreche ich Ihnen.
    Willie starrt immer noch geradeaus und denkt nach. Dann nickt er. Egan steigt wieder ins Auto.
    Willie fährt davon.
    Ich schätze, du hast mich am Hals, sagt Egan.
    Du hast doch sicher noch andere Verwandte, Egan. Was ist mit deinen Eltern?
    Ma ist bei meiner Geburt gestorben.
    Mhm. Dad?
    Keine Ahnung, wer das war. Der ist schon vor Jahren auf und davon.
    Noch andere Geschwister?
    Fünf Brüder.
    Sind irgendwelche hier?
    Mal sehen. Da ist Charlie. Er ist ein Penner, aber der nimmt mich auf. An der Ecke rechts.
    Charlie der Penner empfängt sie am Bordstein. Der andere Bruder hat ihn eindeutig vorgewarnt. Er streckt die Hand aus wie ein Verkehrspolizist. Auch er nimmt die Lieferung nicht an. Er dreht die Hand um, mit der Fläche zum Himmel. Er ist etwas knapp bei Kasse und hofft, dass Willie Sutton ihm ein Darlehen gewährt. Sonst ist er gezwungen, die Cops zu rufen. Willie gibt ihm fünfhundert Dollar und saust davon.
    Egan hält sich wieder den Kopf. Willie überlegt, ob er anhalten und ihm rauswerfen soll. Aber irgendwie tut ihm ein von seinen Brüdern geächteter Bursche leid. Wie heißt der nächste Bruder?, fragt Willie.
    Egan denkt nach. Sean, sagt er. Klar. Sean. Der hat mir das von damals wahrscheinlich verziehen.
    Sean lebt auf der anderen Seite der Stadt. Willie fährt durch den Central Park, vorbei an einem großen Elendsviertel. Es ist eher eine Zeltstadt, eine komplette Zeltmetropole mit

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