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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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die Klappe.
    Was habt ihr mit Eddie gemacht?
    Halt die Klappe. Das erfährst du noch bald genug.
     
    Sutton steht an der Ecke, den Wind im Rücken. Er betrachtet die einen Block entfernte George-Washington-Brücke. Sie schwankt im Wind. Oder vielleicht schwankt Sutton. Eine in zwei abgetragene Mäntel gehüllte Frau geht an ihm vorbei und lenkt ein kleines Mädchen auf einem Fahrrad mit Stützrädern. Ein Stützrad fehlt.
    Verdammt kalte Ecke, sagt Sutton und zieht in Schreibers Trenchcoat die Schultern hoch.
    Schreiber holt sein Notizbuch heraus und wartet, bis das Mädchen vorbei ist. Hier ist Eddie gestorben, Mr Sutton?
    Wäre besser für ihn gewesen. Nein, hier haben sie auf ihn geschossen, er hat überlebt. Eine Kugel hat seinen Sehnerv durchdrungen. Die nächsten zwanzig Jahre musste er sich in Dannemora durch seine Zelle tasten. Ein Richter ließ ihn 1953 frei. Eddie ging an einem Spazierstock aus dem Gericht, seine ganze Habe in ein Laken gepackt. Angeblich hatte er Braille gelernt. Als ich das in der Zeitung sah, musste ich weinen.
    Schreiber macht sich zitternd Notizen. Er schüttelt seinen Füllfederhalter. Die Tinte ist gefroren, murmelt er.
    Sutton greift in seine Brusttasche, holt den Füllfederhalter des Barkeepers heraus und gibt ihn Schreiber.
    Warum haben sie auf Eddie geschossen, Mr Sutton?
    Weil er angeblich nach seiner Waffe gegriffen hat.
    Willie, sagt Knipser, Ihre Hände zittern.
    Sutton betrachtet seine Hände und nickt. Dann schnappt er sich seine Zigaretten, steckt sich eine in den Mund und klopft auf seine Taschen. Hat einer von euch Feuer?
    Knipser reicht ihm sein Feuerzeug.
    War noch jemand bei Eddie im Auto, Mr Sutton?
    Sutton zündet das Feuerzeug an und hält die Flamme an seine Chesterfield. Eddies Freundin, sagt er. Nina. Sie warf sich über Eddie. Das ist wahre Liebe. Ihr wurde ein Finger weggeschossen. Sie schrieb mir jahrelang in den Knast. Es fiel mir schwer, ihre Briefe zu lesen.
    Zu emotional?
    Nein, unleserlich. Sie hatte nur vier Finger.
    Was ist mit Plank passiert?
    Er hat den Cops alles erzählt. Was vielleicht noch gar nicht schlimm gewesen wäre. Aber er hat ihnen auch meine Adresse gesagt. Er hat mir einfach nie verziehen, dass er sich nicht verkleiden durfte.
    Was?
    Ich hatte mir hundertmal gesagt, dass ich diesem Schwachkopf meine Adresse nicht geben darf. Ich wusste, dass er nicht in Ordnung war. Ich wusste es einfach. Aber Eddie hat immer für ihn gebürgt. Später erfuhr ich, warum. In Dannemora wollten ein paar Jungs Eddie zu ihrer Freundin machen. Er war ein zäher Kämpfer, aber er ließ langsam nach und konnte es nicht mit fünf Männern gleichzeitig aufnehmen. Plank ist dazwischengegangen und hat Eddies Arsch gerettet. Danach hatte Plank bei Eddie einen Freifahrtschein. Eddie – loyal bis zum Gehtnichtmehr. Ich hätte es wissen müssen. Ach, was sag ich da? Ich wusste es. Ganz sicher. Aber ich hab nicht danach gehandelt. Dein Bauch, Kleiner. Vergiss nie, was Willie dir sagt: Wenn du mit dem Rücken zur Wand stehst, hast du nur einen Partner: deinen Bauch.

Teil Drei
    Und warum du allein?
    Warum brach nicht die ganze Hölle los?
    JOHN MILTON ,
Das verlorene Paradies

Siebzehn
    Zwei Wachmänner zerren ihn einen langen düsteren Gang entlang. Sie werfen ihn in eine Zelle, eins zwanzig mal eins achtzig, mit Steinfußboden, Steinwänden, einer extra niedrigen Decke. Und einem an die Wand montierten Bord aus verrostetem Eisen. Das Bett, nimmt er an.
    Sie schließen die Tür.
    Dunkelheit.
    Total, undurchdringlich.
    Ihre Schritte werden schwächer. Die Tür am Ende des Gangs quietscht, schlägt zu.
    Er schaut sich um. Er sieht nichts. Aber er hört alles. Das Blut, das durch seine Adern kriecht, die Lunge, die sich ausdehnt und zusammenzieht, sein Herz. Zum ersten Mal wird ihm bewusst, dass Rippen lediglich Stangen aus Knochen sind und das Herz nur ein ängstlicher Gefangener, der pocht, weil er hinauswill.
    Immer sachte, Junge.
    Er schließt die Augen, rollt sich zusammen.
    Sein Bein zuckt. Ist er eben eingeschlafen? Er öffnet die Augen. Schläft er jetzt? Die Dunkelheit ist dunkler. Fast flüssig.
    Er blickt nach oben, nach unten. Wo ist er? Mit einiger Mühe erinnert er sich. Eastern State Penitentiary. Downtown Philly. Wahrscheinlich seit neun Monaten. Vielleicht auch seit einem Jahr. Vor ein paar Tagen haben die Wachmänner ihn beim Basteln einer Pappmaché-Nachbildung seines Kopfs erwischt – mit echten Haaren, aufgesammelt nach Friseurbesuchen. Den

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