Knapp am Herz vorbei
erzähle Ihnen nur, was passiert ist.
Findest du es andererseits nicht merkwürdig, dass du nichts auf deinen, in Anführungszeichen,
Clan
kommen lässt? Wo sie dich doch immer so schlecht behandelt haben?
Das würde ich nicht unbedingt behaupten.
Das hast du aber gesagt, Willie. Ich wiederhole es nur. Deine Brüder waren Ungeheuer. Deine Schwester nicht vorhanden. Deine Eltern waren kalt.
Na ja. Also. Hm.
Erzähl mir mehr über deinen Vater. Was hat er gemacht?
Das sagte ich doch schon. Er war Schmied.
Aber was hat er
gemacht
?
Pferdehufe beschlagen.
Und?
Werkzeuge hergestellt.
Wie zum Beispiel?
Hämmer, Äxte, Nägel.
Machen Schmiede nicht auch Schlösser?
Klar, alle möglichen Arten.
Psycho zündet sich eine Zigarette an. Er benutzt eine schwarze Spitze wie Präsident Roosevelt und raucht eine ausländische Marke, die so riecht, als hätte es einen elektrischen Kurzschluss gegeben.
Dein Vater, der nie mit dir geredet hat, hat also Schlösser gemacht. Und du sitzt jetzt hinter Schloss und Riegel – weil du unter anderem Schlösser geknackt hast. Hältst du das alles für puren Zufall?
Etwa nicht?
Psycho raucht und zuckt die Schultern. Erzähl mir mehr von Bess.
Willie möchte lieber nicht. Aber er wählt eine beliebige Geschichte und erzählt Psycho von ihrem ersten Abend auf Coney Island, dann fasst er den Raubzug bei ihrem Vater zusammen.
Das ist lobenswert, sagt Psycho. In gewisser Weise.
Was?
Du bleibst diesem Mädchen zugetan, obwohl sie dich benutzt und deine Zukunft zerstört hat – ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Das habe ich nicht
gesagt
.
Aber das liegt doch auf der Hand, Willie. Sie hat dich auf die schiefe Bahn gebracht, dann ist sie davongerannt, hat geheiratet, und du warst der Dumme.
Willie merkt, wie seine Wangen rot werden. Ihr Vater hat sie gezwungen, sagt er.
Sie scheint kein Mädchen zu sein, das sich von seinem Vater etwas vorschreiben lässt. Im Gegenteil, haben deine Probleme nicht erst wegen ihrer Rebellion gegen ihren Vater angefangen? Sie gezwungen? Willie, jetzt komm schon, du bist doch nicht dumm.
Willie fragt, ob er eine Zigarette schnorren kann. Vielleicht ist dieses Geplauder mit Psycho doch nicht so zwanglos.
Später stellt Willie Recherchen über Psycho an wie früher über Mr Untermyer. Da ihm diesmal keine große Bibliothek zur Verfügung steht, durchwühlt er Psychos Büroakten. Und wieder schockiert ihn, was er herausfindet. Psycho ist nicht nur der weltweit führende Experte in Sachen Verbrecherprofile, sondern auch eine Kapazität auf dem Gebiet der Hypnose. So ist das also. Psycho hypnotisiert ihn. Warum würde Willie ihm sonst sein Herz ausschütten? Woher sollte Psycho sonst so viel wissen? Willie erzählt Psycho viele unwahre Geschichten, und trotzdem gelingt es ihm, die wahren Körnchen herauszufischen. Wie, wenn nicht durch Hypnose?
Anfang 1936 sitzt Psycho in seinem Lederstuhl, raucht und liest ein Buch von Bertrand Russell, während Willie die Notizen der letzten jungianischen Sitzung mit einem Mörder abtippt. Willie hat mit diesem Mörder schon oft Schach gespielt – und nie etwas geahnt. Im Geiste macht er sich eine Notiz: Ab jetzt lässt er den Mann gewinnen. Als er die getippten Seiten stapelt und in eine Mappe schiebt, denkt Willie über das Gespräch zwischen Psycho und dem Mörder nach. Ein behutsames, neutrales Gespräch. Willie hängt die Mappe in den Aktenschrank und setzt sich Psycho gegenüber auf einen Stuhl.
Entschuldigen Sie, Sir.
Psycho blickt von seinem Buch auf. Ja, Willie?
Darf ich Sie etwas fragen?
Natürlich.
Willie spitzt die Lippen. Darf ich Sie bitten, ganz ehrlich zu sein, Sir?
Ja.
Finden Sie, dass ich hierhergehöre?
Oh Willie, ich weiß nicht.
Nein. Wirklich. Finden Sie, dass ich die nächsten fünfzig Jahre in dieser stinkenden Gruft verbringen sollte?
Psycho schließt Bertrand Russell und legt das Buch in seinen Schoß. Er betrachtet den aufsteigenden Rauch seiner Zigarette. Willie the Actor, sagt er leise. Der Schauspieler, der die Rollen nicht mag, die er sich selbst zuteilt.
Willie bedauert schon fast, die Frage gestellt zu haben.
Der Schauspieler, der ein Gewissen hat, sagt Psycho – oder denkt, dass er eins hat. Okay, Willie. Warum nicht. Wenn du schon fragst. Aber vergiss nicht, du bist nicht mein Patient. Dies ist keine Diagnose. Nur eine Meinung.
Klar.
Also dann. Die Entfremdung von Mutter und Vater, der Missbrauch durch die Geschwister, die harte Armut in den frühen
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