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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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vielen Orten geboren.
    Hat der alte Indianer das gesagt?
    Sutton starrt Knipser an. Eben fällt mir auf: Du erinnerst mich ein bisschen an Happy.

Neun
    Bess küsst Willie. Er spürt ihre Wimpern an seinem Augenlid. Er lächelt. Hör auf, Bess, ich schlafe. Er öffnet die Augen. Eine Kakerlake krabbelt über sein Gesicht. Er schlägt sie weg, setzt sich auf. Er liegt auf dem Boden einer kleinen Zelle. Das einzige Licht kommt durch einen Spion, aber es reicht, um zu sehen, dass es um ihn herum von Kakerlaken wimmelt.
    Eine Tasse Wasser steht neben der Tür. Er kriecht hin. Seine Kehle ist rau und verbrannt, trotzdem kann er das Wasser nicht trinken. Es riecht wie Pisse. Später erzählen ihm die Cops: Sie haben reingepisst.
    Einmal pro Stunde erscheinen sie am Spion und quälen ihn. Sie erkundigen sich nach seiner Hure, erzählen ihm, was sie gern mit seiner Hure machen würden. Sie ist in einer Zelle ein Stück weiter den Gang entlang, seine Hure. Hat er eine Nachricht für seine Hure?
    Mr Endner holt Bess durch Kaution sofort aus dem Gefängnis. Willies Familie kann sich die Kaution nicht leisten, Happys ebenso wenig. Nach mehreren Tagen wird Willie in einen Besucherraum geführt. Mutter sitzt in ihrem Sonntagskleid an einem zerkerbten Holztisch. Sie hat seit Jahren nicht geschlafen. Und jetzt hat sie noch ein Kind verloren. Erst Agnes, dann Willie. Sie fragt Willie, was er zu seiner Entschuldigung zu sagen hat.
    Nichts, antwortet er. Nicht das Geringste.
    Nicht nur dein Name steht in der Zeitung. Auch unserer. Sie haben unsere Adresse abgedruckt. Die Nachbarn, der Pfarrer, der Metzger – alle sehen uns mit anderen Augen an.
    Willie senkt den Blick und entschuldigt sich unter Tränen. Aber er bittet sie auch um Hilfe. Er braucht eine Zeitung, eine Zeitschrift, ein Buch, einen Block und einen Bleistift – irgendwas. Wenn er nur Kakerlaken totschlägt, wenn er nur die üblen Bemerkungen der Cops über Bess hört, wird er verrückt.
    Du willst etwas tun?, fragt Mutter.
    Ja.
    Dann bete.
    Sie steht auf und geht hinaus.
    Willie, Happy und Bess werden wegen Einbruch und Diebstahl angeklagt. Bei Willie und Happy kommt noch Entführung dazu. Man weist ihnen einen Pflichtverteidiger zu, der nach Rizinusöl und Leberpillen riecht. Auf seiner rosa Nasenspitze sind steife weiße Haare. Willie versteht seinen Namen nicht richtig. Ihn interessiert nur, ob er mit Bess gesprochen hat.
    Nein, sagt Anwalt. Aber ich habe mit dem Anwalt ihrer Familie gesprochen, und der sagt, Mr Endner hält die junge Dame hinter Schloss und Riegel.
    Anwalt gibt Willie einen Stapel Zeitungen. Die Geschichte ist auf jeder Titelseite, wenn auch überall etwas anders dargestellt. Einmal geht es um zwei Gangster aus Irish Town und ihre wunderschöne Komplizin. Dann wieder haben zwei Gangster aus Irish Town eine Alleinerbin entführt. Die einzige Konstante in jedem Artikel ist, dass Willie und Happy Gangster aus Irish Town sind.
    Die Geschichte schafft es auch in die Zeitungen von St. Louis, Chicago, San Francisco. Und via Telegraph sogar nach Europa. Alle finden etwas Interessantes an diesem Stoff, überall. Verbrechen, Klasse, Geld, Sex. Die Verhandlung wenige Monate später ist daher eine Sensation. Als Willie und Happy in den Gerichtssaal treten, sehen sie sich Hunderten von krakeelenden, lachenden, essenden Zuschauern gegenüber. Wie bei einem Spiel der Giants, sagt Happy.
    Willie und Happy tragen Anzüge, die sie von dem gestohlenen Geld gekauft hatten. Sie sitzen links und rechts von Anwalt. Willie dreht sich um, überfliegt die Gesichter auf der Galerie. Mutter und Vater, Happys Familie, alle sitzen konzentriert in der ersten Reihe. Zwei Reihen dahinter Eddie, die Augenbrauen ein tiefes V über den zornigen königsblauen Augen. Er ist kurz davor, irgendwem, allen, einen irischen Haarschnitt zu verpassen.
    Als Mr Endner hereinkommt, legt sich Schweigen über den Raum. Geführt von einer Krankenschwester, geht er langsam den Gang entlang. Anwalt beugt sich zu Willie: Dem Mann geht es nicht gut, habe ich gehört.
    Es geht ihm gut genug, um Willie mit finsterer Miene anzustarren. Willie versucht, zerknirscht auszusehen. Es nützt nichts. Mr Endners finstere Miene bleibt. Willie seufzt, schaut geradeaus und zählt die Sterne auf der amerikanischen Flagge. Dann spürt er Unruhe hinter sich. Er dreht sich um und sieht einen verschwommenen Fleck. Zwei der Polizisten, die Bess eine Hure genannt haben, packen Mr Endner, der Willie gerade an die

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