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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Mr Endners Schnurrbart. Doch Bess ist schon im Geschäft und vergräbt ihr Gesicht in dem kuschelweichen Pelzkragen.
    Willie steht vor dem verdutzten Verkäufer und zählt neunhundert auf den Ladentisch. Schenken Sie sich das Einpacken, sagt Willie und nimmt die Quittung, welche die Staatsanwaltschaft später als Beweisstück B führt, sie zieht ihn gleich an.
    Sie fahren in nordöstlicher Richtung nach Massachusetts, wo das Mündigkeitsalter angeblich niedriger ist. Das haben sie gehört. Die Straßen sind schlecht. Es sind keine Straßen, sondern Indianerpfade. Der Nash hat einen Platten. Happy ringt mit dem Wagenheber und dem Ersatzreifen. Bess ringt mit Willie. Er packt ihre Hand und sagt, sie soll brav sein, worauf sie erwidert: Meine braven Tage sind vorbei.
    Gegen Abend halten sie vor einem Gasthaus mit vier Zimmern. Es ist noch eine Stunde hell. Bess möchte auf der Stelle zum nächsten Richter gehen. Aber Happy ist vom Reifenwechseln erledigt.
    Dann gehen wir ohne dich, sagt Bess.
    Happy ist beleidigt. Wie wollt ihr ohne den Trauzeugen heiraten?
    Willie umarmt sie. Gleich morgen früh, Bess. Dann kaufen wir dir auch ein richtiges Hochzeitskleid.
    Oh Willie. Ja.
    Und danach, denkt er, die Niagarafälle und anschließend Kanada, weit außer Reichweite ihres Vaters. Willie weiß noch nicht, was dann mit Happy wird.
    Sie gehen alle früh zu Bett. Morgen ist ein großer Tag, sagen sie oben an der Treppe. Willie schläft augenblicklich ein. Stunden später wacht er auf, weil Bess ihn anstupst. Willie Boy, ich kann nicht schlafen.
    Ja. Ich auch nicht.
    Sie lacht. Er tastet in seinem Anzug auf dem Boden nach Zigaretten. Er zündet sich eine an, liegt auf dem Rücken, nimmt einen langen Zug. Bess konfisziert die Zigarette, pafft daran, gibt sie zurück. Das Zimmer ist eiskalt. Sie breitet den Eichhörnchenmantel als zusätzliche Decke übers Bett, legt sich auf die Seite mit dem Gesicht zu Willie und sagt: Wir sind Geächtete.
    Scheint so.
    Ich hätte nie gedacht, dass es mal so weit kommt.
    In meinen Plänen war das auch nicht vorgesehen.
    Sie pikst Willie mit dem Finger in die Rippen. Hände hoch.
    Bess.
    Du hast mich verstanden.
    Er steckt die Zigarette in den Mund und hebt die Hände.
    Pack das Geld in die Tasche, sagt sie.
    Das hast du ja ziemlich gut drauf.
    Geld oder Leben?
    Meine einzige Wahl?
    Ja.
    Leben.
    Sie stützt sich auf den Ellbogen. Hast du schon mal ein Verbrechen begangen, Willie?
    Er seufzt. Vor langer Zeit.
    Was hast du gemacht?
    Eddie hat immer geklaut, er ist in Geschäfte eingebrochen. Happy und ich haben manchmal Schmiere gestanden.
    Sie zwirbelt sein Brusthaar. Bist du schon mal mit einer zusammen gewesen, Willie Boy?
    Er bläst einen Rauchkringel in die Luft, der ihr Gesicht umwölkt wie ein Heiligenschein. Ich weiß nicht.
    Mit wem? Wer war sie, Willie?
    Ach, niemand, Bess. Sie war nur – niemand.
    Wer, Willie?
    Wenn du es unbedingt wissen musst. Eine Prostituierte. In der Sands Street.
    Sands
Street?
    Happy. Er hat mich und Eddie mitgenommen.
    Das sieht ihm ähnlich.
    Es war nichts.
    Und wie war sie?
    Lass es doch!
    Sag’s mir.
    Sie war nicht annähernd wie du.
    Wie hat sie’s gemacht?
    Ach, komm schon.
    Sag’s mir.
    Ist doch nicht so wichtig.
    Wie?
    Bess.
    Willie.
    Gott, bist du stur. Dein alter Herr meinte schon, dass du hartnäckig bist.
    Du kennst noch nicht mal die Hälfte von mir. Wie?
    Hauptsächlich auf mir. So. Jetzt zufrieden?
    Bess nimmt ihm die Zigarette aus der Hand und legt sie in den Aschenbecher auf dem Nachttisch. Mit dem Eichhörnchenmantel um die Schultern setzt sie sich auf ihn. Sie nimmt ihn, führt ihn. Er kommt zu früh. Sie lässt sich auf ihn fallen, vergräbt ihr Gesicht in seinem Hals. Er hält sie fest. Sie zittert, ihre Haare sind schweißnass. Darum dreht sich alles auf der Welt, sagt er atemlos. Ja, sagt sie. Darum will jeder besser sein als der andere, Bess, darum sind die Menschen bereit zu lügen, zu betrügen und zu töten. Dafür, Bess. Das hält die Welt am Laufen. Das, Bess. Das.
     
    Sutton rückt seine Brille zurecht, wischt den Schmutz auf der Zedernwand ab. Ah – ich wusste, es ist noch da.
    Schreiber tritt näher. Was?
    Bess’ Initialen. Ich hab sie eingeritzt. Da.
    Knipser tritt näher. Ich seh nichts, Mann.
    Direkt da. S-E-E. Sarah Elizabeth Endner.
    Knipser reicht Schreiber sein Feuerzeug und holt ein Klappmesser aus seiner Gesäßtasche. Er kratzt am Schmutz an der Wand. Da ist nichts, sagt er.
    Du bist blind, sagt Sutton.
    Knipser

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