Knapp am Herz vorbei
klappt sein Messer zusammen. Er löst den Blitz an seiner Kamera aus und erhellt die Wand. Nichts, sagt er.
Geh zum Augenarzt, Kleiner.
Am Morgen machen sie in ihren neuen Kleidern einen Rundgang durch die Stadt. Bess sah noch nie hinreißender aus – schwarzer Glockenhut, schwarzer Seidenrock, weiße Bluse mit einem Chiffonsträußchen. Den Eichhörnchenmantel trägt sie wie eine Tunika. Sie kaufen Zeitungen, setzen sich auf eine Bank und lesen. Die Schlagzeilen sind düster. Das halbe Land sucht Arbeit, die andere Hälfte streikt. Nicht weit entfernt, in Boston, erbost sich die Polizei über ihre Bezahlung und droht mit Streik.
Willie faltet die Zeitung zusammen, streicht die Seite glatt. Hier steht, der Durchschnittscop verdient tausend Dollar pro Jahr.
Happy tätschelt die karierte Reisetasche. Wir könnten uns dreizehn Cops kaufen.
Bess zeigt auf ein Foto von Calvin Coolidge, den Gouverneur von Massachusetts, und sagt: Was für ein Sauertopf.
Willie findet in keiner Zeitung eine Zeile über den Raubüberfall in Brooklyn. Was verdächtig ist. Warum steht nichts in der Zeitung?
Ich bin mir ziemlich sicher, sagt Bess, dass mein Vater alles tut, um die Sache geheim zu halten.
Ist sein Einfluss so groß?
Bess runzelt die Stirn. Sie sehen sich auf dem Platz um, als könnte Bess’ Vater hinter einem Baum oder hinter der Kanone aus dem Bürgerkrieg hervorspringen.
Den Rest des Vormittags verbringen sie mit dem Kauf eines Hochzeitskleids. Bess findet nichts, was ihr gefällt. Sie stampft mit dem Fuß auf. Die Geschäfte in Poughkeepsie waren viel besser, sagt sie.
Dann fahren wir eben zurück, erwidert Willie. Wenn meine Bess möchte.
Willie fährt. Bess sitzt auf dem Beifahrersitz, Happy hinten. Sie kommen durch verschneiten Urwald. Die alten Bäume sehen aus, als wären sie mit weißer Farbe bespritzt. Trotzdem ist die Luft warm. Februarschmelze, sagt der junge Angestellte an der Esso-Tankstelle, an der sie zum Auftanken halten.
Bess zündet sich eine von Willies Zigaretten an. Der Tankwart starrt sie an, als hätte sie ihre Bluse ausgezogen. Frauen rauchen 1919 nicht in der Öffentlichkeit. Schon gar nicht im hinterwäldlerischen Massachusetts. Als sie aus der Tankstelle tuckern, hinterlässt Bess dem Tankwart noch eine Erinnerung. Sie steht auf, drückt ihren Rücken durch und schwingt ihr Haar im Kreis. Wie die Kühlerfigur, sagt Happy.
Der Wind in meinen Haaren ist
himm
-lisch, ruft sie.
Willie brüllt über den Motor: Deine Haare im Wind sind himmlisch.
Sie beugt sich zu ihm und küsst ihn. Ihr zwei macht mich ganz krank, sagt Happy. Sie beugt sich nach hinten und küsst Happy.
Bess, sagt Willie, willst du nicht mal fahren?
Endlich, sagt sie.
Sie halten am Seitenstreifen, Bess tauscht mit Willie den Platz. Er will ihr die Kupplung erklären, aber sie sagt, schon gut, ich weiß, wie das geht. In null Komma nichts legt sie reibungslos die Gänge ein, nur das Lenkrad umklammert sie noch zu fest. Locker, sagt Happy, schön locker. Und je lockerer und sicherer sie wird, umso schneller fährt sie und stößt fast mit einem entgegenkommenden Langholzlaster zusammen.
Zum Mittagessen halten sie bei einem Restaurant an der Straße an. Gefüllte Eier, Tomatensuppe, Sandwiches mit gegrilltem Käse. Zum Nachtisch Pecan Pie. Die Rechnung beträgt drei Dollar. Willie lässt fünf Dollar Trinkgeld liegen. Die Staatsanwaltschaft führt dies als Beweis C.
In Poughkeepsie kaufen sie Bess’ Hochzeitskleid. Mit Spitze verziert und einem Mieder aus Seide und Taft. Dann gehen sie ins Gerichtsgebäude und erkundigen sich nach dem hiesigen Ehegesetz. Der Beamte erklärt, das Mündigkeitsalter in New York sei dasselbe wie in Massachusetts – vierzehn bei Männern, zwölf bei Frauen. Sie müssen also nicht zurückfahren. Allerdings ist Richter Symonds für heute schon gegangen. Krankheitsfall in der Familie. Morgen früh ist er wieder da. Sie checken erneut im Nelson House ein, essen im feinen Speisesaal zu Abend. Bei zwei Flaschen Rotwein unterhalten sie sich über die Prohibition. Nächstes Jahr um diese Zeit wird Alkohol verboten sein. So ein Beschiss, sagt Bess, wo ich doch gerade auf den Geschmack komme. Mach dir keine Sorgen, sagt Willie, bis dahin sind wir in Kanada, da kannst du dich jeden Abend betrinken.
Den Kaffee nehmen sie im Hotelsalon ein. Happy würde gern auf seiner Ukulele klimpern, aber um den Kamin sitzen ältere Gäste, die lesen und Dame spielen. Er unterhält Willie und Bess mit Witzen
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