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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Diamanten von schmutziger Herkunft erregend findet. Außerdem pflegt sie eine besondere Vorliebe für die Erbstücke anderer Frauen.
    Eines Tages statten Willie und Doc ihr einen Besuch ab, in ihrem prachtvollen Haus in den East Sixties. Eine gute Stunde sitzen sie in ihrem Art-déco-Wohnzimmer, auf weißen ledernen Barcelona-Sesseln, trinken Tee und essen Zitronenkekse. Von den zwei mit Spiegeln getäfelten Wänden starren fünfzig Willies den echten an. Er fühlt sich hoffnungslos unterlegen.
    Auf dem Couchtisch sieht er ein Buch mit dem Umschlag nach unten liegen. Er greift danach. Moneta sagt, es sei eine Sammlung von Kurzgeschichten und Gedichten, die man nur in Paris bekomme. Der Name des jungen Schriftstellers sei Heming-irgendwas. Willie mustert das Autorenfoto, legt das Buch ab und sagt: Sieht nach einem harten Burschen aus.
    Bestechend, erwidert Moneta. Jeder Satz ist
bestechend
.
    Willie weiß nicht genau, was das Wort bedeutet, aber Moneta benutzt es oft. Paris ist zu dieser Jahreszeit bestechend. Clara Bow auf der Leinwand ist
bestechend
. Die neuen Rätsel, die jetzt alle machen, Kreuzworträtsel – ein
bestechender
Zeitvertreib.
    Ein Rätselbuch liegt verkehrt herum neben den Kurzgeschichten. Sie nimmt es in die Hand. Kennt einer von euch einen europäischen Fluss mit vier Buchstaben, der mit
a
anfängt?
    Arno, sagt Doc.
    Moneta macht große Augen. Während sie das Wort einträgt, gibt Doc Willie ein Zeichen. Willie holt einen Seidenbeutel aus seiner Brusttasche und legt ihn auf den Couchtisch. Moneta lässt das Rätselbuch fallen, geht zu einem Schreibtisch, der gut und gerne aus Versailles geklaut sein könnte, und leert den Beutel darauf aus. Diamanten, Saphire, Smaragde kullern über die hölzerne Tischfläche. Sie sortiert sie, begutachtet jeden Stein durch ein Opernglas. Dann feilscht sie mit Doc.
    Geht nicht, sagt Doc. Ich lande im Armenhaus, wenn ich mich mit diesem Preis zufriedengebe.
    Du ziehst mir noch das letzte Hemd aus, Doc.
    Ich fürchte, weiter kann ich dir nicht entgegenkommen.
    Schon gut, schon gut.
    Sie öffnet einen Safe hinter einem verspiegelten Paneel, holt ein Geldscheinbündel heraus, wickelt es in Wachspapier. Willie wirft einen letzten Blick auf den Schmuck. Dann überkommt ihn ein Impuls. Er streckt die Hand aus und nimmt einen dreikarätigen Diamantring mit altem europäischen Schliff.
    Bitte Mam, diesen nicht.
    Doc wirbelt herum. Seine Augen flitzen von Willie zu dem Ring und wieder zu Willie. Sie drehen sich beide zu Moneta um. Doc lächelt gequält. Tja nun. Hm. Mein Partner hat sich offenbar in dieses Stück – verguckt.
    Moneta spitzt die Lippen. Sie zieht nicht gern den Kürzeren, und sei es nur bei einem einzigen Klunker. Sie funkelt Doc und Willie böse an. Willie befürchtet schon, Doc das Geschäft vermasselt und die wichtige Beziehung zu seiner Hehlerin für immer beendet zu haben.
    Moneta sitzt am Schreibtisch. Ein Mädchen?, fragt sie.
    Ja, Mam. Sie ist bestechend.
     
    Sutton läuft zur Ecke. Hier war früher ein Zeitungsstand, da gab es sämtliche Zeitungen aus Amerika. Wenn wir aus dem Nachtzug gestiegen sind, mit langen Überziehern und Hüten so breit wie Sombreros, sind wir als Erstes zu diesem Zeitungsstand gegangen.
    Wer?
    Docs Bande.
    Warum?
    Wir wollten unsere Kritiken lesen. Wir waren gern berühmt. Die meisten Leute haben Angst, dass sie nicht richtig da sind, dass sie unsichtbar sind. Dieses Problem ist gelöst, wenn du berühmt bist. Dann musst du da sein, denn es steht ja in der Zeitung.
    Sutton blickt noch mal auf die Stelle, wo früher der Zeitungsstand war, als könnte er vielleicht wieder auftauchen. Mann, sagt er, die Leute haben sich verdrückt, wenn wir den Bürgersteig entlanggingen.
    Warum?
    Wir haben übel ausgesehen. Und das wussten wir. Wir wollten übel aussehen. Jeder Verbrecher imitiert einen Verbrecher, den er mal im Kino gesehen hat. Ich kann euch gar nicht sagen, wie viele Jungs mir im Knast begegnet sind, die Bogart oder Cagney in einem Alter sahen, als sie noch leicht zu beeindrucken waren. Ich liebe Bogart über alles, aber der Mann hat mehr Blutvergießen angerichtet als Mussolini.
    Ich bin verwirrt, sagt Knipser. Welche Kritiken?
    Wir haben die Zeitungen aus der Stadt gekauft, in der wir gerade zugeschlagen hatten, und die Geschichten über unseren Raub gelesen. Polizei fehlt jede Spur – über solche Schlagzeilen konnten wir uns kranklachen. Oder: Polizei vermutet Insider-Tipp – ein echter Schenkelklopfer. Aber

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