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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Leben lang berühmt, Mr Sutton.
    Gut gekontert, Kleiner.
    Mit einer Chesterfield im Mundwinkel und der Tüte mit den Handschellen unterm Arm schlägt Sutton den Pelzkragen an Schreibers Trenchcoat hoch und geht mit neuem Schwung im Humpelschritt davon.
    Wohin?, ruft Knipser ihm hinterher.
    In die Bronx, sagt Sutton.
    Oh, gut, sagt Schreiber. Ich seh schon die knallige Schlagzeile von morgen.
JOURNALISTEN BEI RAUBÜBERFALL AN WEIHNACHTEN GETÖTET .
     
    Das Yankee Stadium ist brechend voll. Es ist ein besonderes Ereignis, und alle Männer sind entsprechend angezogen – feinster Anzug, schickste Krawatte, bester Strohhut. Willie hat sich für einen gelben Leinendreiteiler mit lavendelblauer Krawatte entschieden, Eddie für einen grauen Tweedanzug mit lindgrüner Krawatte. Beide tragen einen weißen Hut mit breitem schwarzem Band. Der von Eddie hat vierhundert Dollar gekostet.
    Sie gönnen sich Spitzenplätze, auf der Seite der dritten Base. Der Typ auf dem Parkplatz verlangt zweihundert Mäuse. Ziemlich teuer, aber was bleibt uns übrig?, sagt Eddie. Wir können uns doch nicht auf Billigplätze setzen.
    Sie sitzen drei Reihen von Präsident Warren G. Harding entfernt, dessen Loge rot-weiß-blau behangen ist. Eddie verrenkt sich den Hals. Er mag Harding nicht, ein Heuchler, ein Schürzenjäger und Whiskeysäufer, trotz Gattin und Prohibition. Ihm gefällt nicht, dass Harding mit Rockefeller befreundet ist. Ebenso wenig wie Willie. Vor dem ersten Wurf versucht Harding, dem Jungstar der New York Yankees, Babe Ruth, die Hand zu schütteln. Eddie jubelt, als Harding in Richtung der Kameras grinst, Ruth dagegen demonstrativ ernst bleibt.
    Das musst du dir reinziehen, Sutty. Ruth ist ein richtiger Krösus und trotzdem Demokrat. Ab jetzt bin ich Ruth-Fan.
    Ein Junge mit einem weißen Papierhut kommt den Gang runter und verkauft Cracker Jacks. Eddie winkt ihm zu, kauft zwei Schachteln und reicht eine Willie. Ist das nicht ein Leben, Sutty? Nur eins wär noch schöner – ein paar eiskalte Bierchen. Verdammte Prohibition. Irgendwie mag ich die Trockendocker noch weniger als die Spaghettifresser.
    In der zweiten Hälfte des fünften Innings ballert Ruth einen Fastball hoch in den Frühlingshimmel. Einen Moment lang schwebt er wie ein zweiter Mond. Dann fällt er rasant nach unten und landet mit lautem Knall auf einem Sitz im Rightfield nahe dem Edison-Cement-Zeichen.
    Dieser Schwung!, sagt Eddie. Heilige Mutter Gottes, Sutty, die
Gewalt
in diesem Schwung.
    Willie und Eddie sind seit eh und je Fans der Brooklyn Robins, aber sie können nicht leugnen, dass dieser Ruth ein echtes Ass ist. Als Ruth um die dritte Base spaziert, stehen auch Willie und Eddie auf und applaudieren respektvoll. Sie sitzen so nah, dass sie die Nähte in Ruths Socken sehen können, die Flecken auf seinem Flanelltrikot, die Poren auf seiner Nase. Willie kann den Blick nicht von dieser Nase abwenden. Sie ist zweimal so breit wie die von Willie, und deshalb findet Willie Ruth gleich zweimal so gut.
    Die Menge beruhigt sich und nimmt wieder Platz. Wally Pipp schreitet zur Homeplate. Willie spürt eine hartes Klopfen auf der Schulter. Zwei Ruth-große Männer beugen sich über ihn.
    Sind Sie Sutton?
    Sutton wer?
    Ist das Wilson?
    Und wer sind Sie?
    Kommen Sie mit uns.
    Wohin?
    Die Fragen stellen wir, du Clown.
    Hören Sie, Mister, wir haben gutes Geld für diese Plätze bezahlt.
    Sie würden gutes Geld nicht mal erkennen, wenn es Sie in den Arsch beißt.
    Was bilden Sie sich eigentlich ein, so mit mir –?
    Die Männer packen Willie am Kragen und heben ihn von seinem Sitz. Das Gleiche tun sie mit Eddie. Die Fans gaffen. Fotografen, die sich kniend um die Homeplate drängen, drehen sich um. Was soll dieser Tumult? Pipp unterbricht das Spiel und beobachtet, wie Willie und Eddie die Rampe hochbugsiert werden. Willie steckt seine Hand in die Tasche, umklammert Bess’ Diamantring, greift dann in die Cracker Jacks, als wollte er noch eine Handvoll holen – und legt den Ring tief unten in die Schachtel.
    Draußen vor Block  4 wirft er die Schachtel in den Müll, bevor die Männer ihn auf den Rücksitz ihres Autos zerren.
     
    Sutton steht vor Block  4 . Sie haben es verschandelt, sagt er.
    Ich wollte es noch erwähnen, sagt Schreiber. Während Sie weg waren, wurde es neu gestaltet.
    Du sagst neu gestaltet, ich sage verschandelt.
    Es war alt.
    Es war jünger als ich.
    Knipser fotografiert die Fassade, die Flaggen entlang dem oberen Deck. Sie wissen, dass die

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