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Knapp am Herz vorbei

Knapp am Herz vorbei

Titel: Knapp am Herz vorbei Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R. Moehringer
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Yankees heute nicht spielen, oder, Willie?
    Sutton bedenkt ihn mit einem eisigen Blick.
    Meinte ja nur, sagt Knipser leise. Aber was soll die ganze Fahrerei, wenn es jeden Ort, den wir anfahren, so nicht mehr gibt? Ganz New York hat sich bis in den letzten Winkel verändert.
    Ich hab mich auch verändert, sagt Sutton. Bis in den letzten Winkel. Aber ich bin trotzdem ich.
    Knipser und Sutton mustern sich wie Fremde in einer U-Bahn, dann sehen sie Schreiber an.
    Jede Generation glaubt, dass die Welt früher besser war, sagt Schreiber.
    Und jede Generation hat recht, erwidert Sutton.
    Schreiber schlägt eine neue Seite in seinem Notizblock auf. Also, Mr Sutton, was ist hier im Stadion passiert?
    Hier wurden Eddie und ich nach unserem ersten Bankraub festgenommen. Unser Leben war dabei, sich zu ändern, das heißt, es war dabei zu enden. Aber als uns die Pinkertons geschnappt und nach Downtown gefahren haben, ging Eddie nur eins durch den Kopf. Ruth. Er hat dauernd davon geredet, was Ruth tun würde, wenn er das nächste Mal mit Schlagen an der Reihe ist. Das Spiel war aus, und Eddie hat immer noch an Baseball gedacht.
    Haben die Cops Sie nicht den Babe Ruth der Bankräuber genannt?
    Das war später. Mann, war Eddie sauer, dass wir den Rest des Spiels verpasst haben. Ständig hat er von dem vielen Geld für unsere Plätze geredet. Bei den Cops im Gefängnis lief das Spiel im Radio, und bei jedem Aufjubeln der Menge hat Eddie geächzt. Er konnte es nicht fassen. Mir ging es nicht anders. Ich war sauer wegen des Rings.
    Welchem Ring?
    Den ich hier in den Müll warf. Ein Wunder, dass die Pinkertons es nicht gesehen haben.
    Mr Sutton – welcher Ring?
    Ein Diamantring. Ich wollte ihn Bess schenken. Wenn sich mir jemals die Gelegenheit dazu bieten würde.
    Hatten Sie noch Kontakt zu ihr?
    Nein, inzwischen war sie verheiratet.
    Mit wem?
    Irgendeinem reichen Typen. Wenn sie irgendwann nicht mehr verheiratet wäre, wollte ich bereit sein. Mit einem hübschen großen Diamantring. Aber der Ring stammte aus einem Raubzug mit Doc, er war also ein Beweisstück und musste verschwinden.
    Knipser zeigt auf die überquellenden Abfalleimer. Es gab seitdem so viele Müllstreiks, sagt er, vielleicht ist er ja noch da.
    Sutton dreht Schreiber und Knipser den Rücken zu und schaut in die Brusttasche seines Anzugs. Der weiße Umschlag. Er schließt die Augen. Über die Schulter hinweg sagt er:
    Im Endeffekt hätte ich nicht über den Ring oder Bess oder was immer nachdenken sollen, sondern über meine rechtliche Lage. Ich war einfach dumm. Und zu großspurig.
    Er dreht sich wieder um, sieht Schreiber an. Hast du ein Mädchen?
    Ja.
    Liebst du sie?
    Na ja –
    Also nein.
    Moment –
    Zu spät. Für mich war das ein Nein.
    So einfach ist das nicht, Mr Sutton.
    Doch, ist es, Kleiner. Das Leben ist kompliziert, die Liebe nicht. Wenn du auch nur eine halbe Sekunde nachdenken musst, bist du nicht verliebt.
    Sie behandelt ihn wie ein Stück Dreck, sagt Knipser. Ich hab ihm schon oft gesagt, er soll Schluss machen. Er glaubt, er findet keine Bessere. Er hat kein Selbstvertrauen.
    Oh Kleiner, Selbstvertrauen ist alles. Nichts zählt mehr. Was du auch tust, tu es mit ganzer Kraft. Genauso hat Ruth den Schläger geschwungen – mit voller Kraft. Ob du eine Bank ausraubst, mit einem Mädchen ausgehst, dir die Zähne putzt – tu es mit und durch deine gottgegebene Kraft, oder lass es bleiben.
    Knipser hält die Kamera nah an Suttons Gesicht und fotografiert ihn mit Block  4 im Hintergrund. Verwegen, verwegen, verwegen, sagt er.
    Sutton hebt das Kinn. Was?
    Das stammt von Che Guevara.
    Verwegen, hm? Gefällt mir.
    Schreiber zieht die Stirn kraus. Aber, Mr Sutton, eben sagten Sie, dass Sie am Tag ihrer Verhaftung zu verwegen gewesen wären. Zu großspurig. Ist das nicht ein Widerspruch?
    Ist es das?
     
    Willie und Eddie werden aneinandergefesselt in einen Zug verfrachtet. September 1923 . Keiner spricht, während der Zug den Hudson entlangrattert. Jeder starrt aus dem Fenster auf die rotbraunen und goldenen Hügel, auf die im Fluss gespiegelten schwankenden Bäume. Wie Willie die goldenen Blätter im blauen Wasser funkeln sieht, muss er an Bess denken. Er fragt sich, ob er sie jemals wiedersehen wird. Es sieht nicht gut aus.
    Er fragt sich, ob sie von der Verhandlung gelesen hat. Es stand in allen Zeitungen, zum Teil, weil er und Eddie sich einen Spitzenanwalt leisten konnten. Aber selbst Clarence Darrow hätte ihnen nicht helfen können. Die

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