Knapp am Herz vorbei
er nach Coney Island und findet die Haustür sperrangelweit offen vor. Die leere Weinflasche steht auf dem Boden. Bess’ Sachen, ihre Bücher sind verschwunden. Er hebt die Flasche auf und stellt sie auf den Tisch. Dann geht er hinunter zum Half Moon und beobachtet das Kommen und Gehen der Hochzeitsreisenden.
Oh nein, sagt Knipser. Rate, wer schon wieder weint.
Nein.
Sieh doch selbst.
Schreiber geht schüchtern zu Sutton. Mr Sutton? Alles in Ordnung?
Sutton, der am Löwen lehnt: Kennst du das Half Moon Hotel, Kleiner? Auf Coney Island?
Wo dieser Mafiamord in den vierziger Jahren passiert ist?
Ja.
Wo Albert Anastasia, dieser Irre, einen Informanten umgebracht hat?
Ja. Abe Reles. Verräter aller Verräter.
Anastasia stieß Reles vom Hoteldach, oder?
Ja, stimmt. Das Half Moon war damals ein angesagter Ort für Flitterwochen.
Kannten Sie Anastasia?
Wir hatten – gemeinsame Freunde.
Was brachte sie auf das Half Moon?
Ich wurde dort auch verstoßen. In gewisser Hinsicht.
Willie drückt die Stechuhr bei Funck and Sons. Februar 1930 . Aus Funcks Büro hört er irres Lachen. Er geht durch den Flur, findet die Tür mit der Mattglasscheibe offen. Funck sitzt mit den Füßen auf dem Schreibtisch da und schwenkt eine Flasche mit irgendwas. Sieh mal einer an, sagt er zu Willie, wenn das nicht unser Erpresser ist! Komm rein, komm rein. Stell dir vor, du Erpresser, du kannst mich erpressen so viel du willst, es ist mir egal. Wir sind pleite. Du willst meine Frau anrufen? Ist mir auch egal. Sie lässt sich sowieso von mir scheiden.
Aber warum?
Der Markt, du Genie. Die Hälfte unserer Kunden kündigt. Wenn schlechte Zeiten kommen, müssen Gärten zuerst dran glauben. Vorbei mit Akelei, die Wicken kannst du ficken, auf die Narzissen pissen und den Gladiolen ein’ runterholen. War schön, dich gekannt zu haben. Hier ist dein letzter Scheck, du Erpresser. Hoffentlich hast du ein schönes Leben. Ich hätte in Amsterdam bleiben sollen.
Funck legt seinen Kopf auf den Schreibtisch und fängt an zu weinen.
Willie geht sofort in die Bibliothek, verkriecht sich im Lesesaal und schlägt die Stellenangebote auf. Aber es gibt keine Stellenangebote. Nur Seiten über Seiten mit Arbeitsuchenden, die sich und ihre Fähigkeiten anpreisen. Und die wenigen aufgeführten Stellen sind für Fachkräfte, Akademiker, Leute mit lupenreiner Vergangenheit. Willie zündet sich eine Zigarette an. Verbannt aus einem weiteren Garten. Wenn er wenigstens noch Zeit gehabt hätte, um sich von Mr Untermyer zu verabschieden. Aber vielleicht kann er das ja noch.
Am nächsten Morgen fährt er mit dem Bus nach Yonkers. Von der Bushaltestelle geht er zu Fuß nach Greystone und fragt den Wachmann am Tor, ob er Mr Untermyer sprechen könne.
Und wer sind Sie?
Ich bin ein – Freund.
Sind Sie nicht einer von der Gartenbaufirma?
Ja. Aber auch ein Freund.
Verpiss dich.
Wenn ich Mr Untermyer nur für fünf Minuten –
Pass auf, Mann, alle leiden. Alle versuchen klarzukommen. Aber ich denk nicht dran, meinen Job aufs Spiel zu setzen und Mr UN -tä-mei-ä wegen einem verflixten Gärtner zu belästigen. Hau ab.
Willie fährt mit dem Bus zurück nach Manhattan, geht zu Fuß von Port Authority zu seiner Absteige. Unterwegs sieht er einen Zeitungsjungen mit einer Extraausgabe.
HOOVER FORDERT RUHE .
Er reißt dem Jungen die Zeitung aus der Hand. Präsident Hoover behauptet, dass die amerikanische Wirtschaft solide ist. Die Fundamente sind gesund. Willie würde die Zeitung gern kaufen, aber er weiß, dann wird er nur noch wütender. Außerdem muss er sparen.
Willie steht in seinem Zimmer an der Kommode und zählt sein Geld. Er stapelt die Münzen, legt die Scheine in ordentliche Stapel. Einhundertsechsundzwanzig Dollar. Genug für vier Monatsmieten und Essen. Wenn er sparsam ist. Er setzt sich hin und schreibt einen Brief an Mr Untermyer, erklärt ihm, dass er ihn besuchen wollte, dass er gern in Greystone weiterarbeiten würde, selbst für einen geringeren Lohn.
Er wird nie eine Antwort erhalten.
Bei Sonnenaufgang macht er sich auf den Weg. Er besucht Gartenbaubetriebe, Fabriken. Bei jedem Tor und Verladedock trifft er hundert, zweihundert Männer, die bereits warten. Er geht zu Arbeitsagenturen. Die Häuser, in denen sie untergebracht sind, sind so belagert und vollgestopft mit Menschen, die um Arbeit betteln, dass er nicht hineinkommt.
Alle paar Tage schaut er in der Bibliothek vorbei und schlägt die Stellenangebote auf.
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