Knapp am Herz vorbei
ein paar angenehme Abende in der Bibliothek und liest über entlegene Küsteninseln, wo Eremiten sich vor eindringenden Römern und Wikingern versteckt hatten. Dort würden er und Bess nie gefunden. Sie würden in einem strohgedeckten Haus auf einem grasbewachsenen Hügel leben, mit vielen Hühnern, ein paar Schafen und einem atemberaubenden Meeresblick. Bei Willie würde es Bess’ Kind bessergehen als bei ihrem Schlägertypen. Und wenn der Schlägertyp und Bess’ Vater auftauchen und Ärger machen würden, hätte Willie genügend Knete, um sie in Sachen korrupte Cops, Richter und Zollbeamte auszustechen.
Willie sitzt in seiner neuen Wohnung auf dem Fußboden und zählt im Geiste das in Gläsern vergrabene Geld zusammen. Mindestens eine halbe Million. Sein großer Plan scheint nicht so weit hergeholt.
Marcus zieht ebenfalls in eine neue Wohnung. Park Avenue. Er kauft sich einen neuen glatten Schreibtisch, eine neue Underwood, eine Schachtel mit neuen Farbbändern. Die Worte flutschen wieder, erzählt er Willie. Alles sieht rosig aus.
Eine Wendung, die ich möglichst vermeide, murmelt Willie.
Marcus lädt Willie zu einem Einweihungsessen in seine neue Bude ein. Willie bringt eine Korbwiege für das Baby und eine Schachtel Pralinen für Dahlia mit. Danke, sagt sie deprimiert.
Ist alles in Ordnung, Dahlia?
Sie murmelt irgendwas von Schwangerschaftsübelkeit.
Willie fragt sich, wie viel Dahlia über seine Arbeit mit Marcus weiß. Er hat immer vorausgesetzt, dass Marcus genügend Grips besitzt und ihr nichts sagt. Aber jetzt merkt er, dass er Marcus nicht kennt. Und schon gar nicht Dahlia – die ihm ein ungutes Gefühl vermittelt.
Marcus klatscht in die Hände und sagt, er hätte eine Flasche erstklassigen Gin für eine besondere Gelegenheit aufgehoben. Er würde gern ein paar Martinis mixen und muss nur eben Oliven holen. Mit diesen Worten rennt er nach unten zum Markt.
Dahlia fordert Willie auf, es sich gemütlich zu machen. Er zieht einen Stuhl unterm Küchentisch vor, zündet sich eine Chesterfield an und betrachtet Dahlia. Sie steht am Küchenfenster, beobachtet den Verkehr unten und reibt sich zerstreut den Bauch. Willie denkt an Bess.
Plötzlich fängt Dahlia zu weinen an.
Dahlia, Schätzchen. Was ist los?
Ich weiß es, Willie.
Du weißt was?
Ich weiß es einfach.
Sie dreht sich vom Fenster weg. Das mit Marcus.
Oh verdammt, denkt Willie. Was ist mit Marcus?, fragt er.
Tränen rollen ihr über die Wangen und überschwemmen ihre Leberflecken. Bitte, Willie. Wenn eine Frau aussieht wie ich, kann sie es sich nicht leisten, blöd zu sein.
Willie sagt nichts. Im Augenblick scheint ihm Schweigen das Sinnvollste.
Du tust so, als wüsstest du es nicht, sagt Dahlia schluchzend. Dass Marcus eine andere trifft.
Willie seufzt erleichtert. Ach Dahlia, das ist lächerlich.
Und warum ist Marcus, der eingefleischte Trauerkloß, plötzlich so selbstbewusst?
Willie denkt zurück. Im Automat hat er Marcus oft Vorträge über Selbstbewusstsein gehalten. Was du auch tust, tu es mit ganzer Kraft. Allem Anschein nach hat er ein Monster geschaffen.
Dahlia, sagt er, Marcus’ Selbstbewusstsein rührt sicher daher, dass er wieder schreibt. Er hat es mir selbst gesagt. Die Worte flutschen wieder. Er hat keine Affäre. Marcus liebt dich. Er freut sich, dass er bald Vater wird. Es geht ihm einfach – gut. Im Leben. Bei der Arbeit. Mit dir.
Dahlia wischt sich über die Augen, betrachtet ihren Bauch. Wirklich?
Ja. Klar.
Ich möchte dir ja gern glauben.
Kannst du auch, wirklich. Ich lüge nie, wenn es um Liebe geht. Ich mache noch nicht mal Scherze über die Liebe. Dazu ist sie viel zu wichtig.
Sie lacht durch ihre Tränen. Na gut, Willie. Na gut. Danke. Jetzt geht es mir schon besser.
Er geht zu ihr, legt ihr die Hände auf die Schultern. Dann gibt er ihr seine neue Telefonnummer und sagt, sie soll ihn anrufen, wenn sie Kummer oder Zweifel hat. Zu jeder Tages- und Nachtzeit.
Marcus kommt zurück. Er mixt die Martinis, und Willie trinkt zwei. Dann serviert Dahlia das Essen. Schweinebraten. Trocken, verbrannt. Willie ist froh, als er gehen kann. Er will ein Glas Bullrichsalz und sein Bett. Er bittet Marcus, ihn nach draußen zu begleiten, er muss mit ihm sprechen.
An der Ecke fragt er Marcus, wie viel Dahlia über ihre Arbeit weiß. Marcus macht ein Armesündergesicht.
Herrgott, Marcus. Alles?
Sie ist meine Frau, Willie.
Willie nickt. Dann erzählt er Marcus von seiner Unterhaltung mit Dahlia.
Sie glaubt, du
Weitere Kostenlose Bücher