Knapp am Herz vorbei
deines ungeborenen Kindes.
Er lässt sich ausführlich über Marcus’ literarische Ambitionen aus, darüber, wie viel ihm an Worten und Büchern liegt, ihnen beiden. Er erzählt, wie ihm Marcus auf der Treppe zur Bibliothek über den Weg lief, wie sie dort in schlechten Zeiten Zuflucht suchten. Je glaubwürdiger er klingt, umso abscheulicher kommt er sich vor. Es war die Wahrheit, als er ein paar Abende zuvor sagte, wenn es um Liebe geht, würde er nie lügen. Er spürt etwas in seinem Hals, seinem Bauch, etwas, das er schon lange nicht mehr gespürt hat. Gewissen, Zerknirschung, Schuld, er kann es nicht genau benennen.
Schwöre, sagt Dahlia. Schwöre, dass die Briefe erfunden sind.
Ich schwöre.
Wenn du nämlich lügst – zum zweiten Mal, nachdem du geschworen hast, du würdest nicht lügen –, würde ich dich sofort ausliefern.
Mich ausliefern – was sagst du da, Dahlia?
Ich weiß, was ihr getan habt, du und Marcus.
Schätzchen, bitte, nicht so laut.
Eure – Tour.
Scht.
Willie trägt einen hohen steifen Kragen und eine geblümte Krawatte, er spürt beide enger werden. Er blickt sich nervös im Restaurant um. Die Leute starren schon. Er beugt sich über den Tisch. Ich schwöre beim allmächtigen Gott, flüstert er, dass Marcus nicht fremdgeht.
Dahlia fischt ein Papiertaschentuch aus ihrer Handtasche. Sie tupft sich die Nase ab, knüllt es dann zu einer Kugel zusammen, als wollte sie damit nach Willie werfen. Willie holt sein Stofftaschentuch aus der Tasche und reicht es ihr. Sie nimmt es, wischt sich die Augen ab. Ihr Gesichtsausdruck wird milder. Entschuldige meinen Ausbruch, sagt sie.
Sie sitzen mehrere Minuten lang schweigend da, dann steht sie unvermittelt auf. Ihr Stuhl kratzt über den Boden, kippt fast um. Danke, dass du mich getroffen hast, sagt sie.
Geh nicht. Iss deinen Kuchen fertig.
Nein, danke. Ich hab deine Zeit schon zu lange beansprucht. Ich weiß, du hast nicht viel – Zeit.
Willie zögert und steht auf. Dahlia küsst ihn auf die Wange und marschiert hinaus. Willie setzt sich wieder und bittet um die Rechnung. Er isst noch eine Gabel voll Kuchen, und dann kippt die Welt aus den Angeln. Vier, sechs, acht Polizisten stürmen aus der Küche und werfen Willie vom Stuhl. Sie drücken ihn auf den Linoleumboden und legen ihm Handschellen an. Für das Strychnin bleibt keine Zeit. Seine einzige Hoffnung ist, dass Marcus Zeit für seines hatte.
Knipser macht eine Pistolengeste auf Sutton. Was für ein Trip, Willie. Eben fiel mir das ein. Sie in ungefähr unserem Alter mit verdeckt gehaltener Waffe rauben Banken und Juweliergeschäfte aus. Was für ein Trip.
Mist, sagt Schreiber.
Was ist denn?
Dort drüben. Channel 11 .
Auf der anderen Straßenseite hält ein Kamerawagen abrupt an. Ein junger Mann mit einem hohen Afro springt heraus und sprintet, eine Fernsehkamera auf der Schulter, in ihre Richtung. Schreiber schiebt Sutton auf den Rücksitz des Polara, dann springen er und Knipser auf den Vordersitz. Als sie davondonnern, schaut Sutton aus dem Heckfenster: Der junge Mann steht dort, wo sie gestanden haben, hält seine Kamera wie einen Koffer und tobt wie ein Mann, der gerade seinen Zug verpasst hat.
Knipser und Schreiber jubeln, klatschen sich ab. Das war knapp, sagt Schreiber.
Wie zum Teufel hat Channel 11 uns gefunden?
Bestimmt sind sie nur zufällig vorbeigefahren. Gelegenheitsverbrechen.
Wenn mein Chef Willie Sutton im Fernsehen sieht –
Bleib locker. Der Typ hatte keine Zeit zu drehen. Er hatte noch nicht mal das Licht an.
Schreiber blickt über die Schulter. Hoffentlich habe ich Ihnen eben nicht weh getan, Mr Sutton.
Ach was, Kleiner. War ein bisschen, als hätten wir getanzt. Außerdem war es ein guter Augenöffner für unseren nächsten Halt.
Fünfzehn
Willie liegt auf der Rückbank, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Zwei Riesencops machen sich auf den Vordersitzen breit. Der Dicke am Steuer kaut auf einer nicht angezündeten Zigarre, der Dickere auf dem Beifahrersitz stopft vier Streifen Fruchtkaugummi in einen absurd kleinen Mund. Wir haben deinen Partner, sagt er über die Schulter. Nur falls du das wissen willst.
Ich hab keinen Partner, sagt Willie.
Du kennst keinen John Marcus Bassett?, fragt Dickerer Cop.
Nie von ihm gehört.
Seine Frau ist das unscheinbare Ding, mit dem du grade Kaffee und Kuchen hattest.
Ach was.
Und Bassett kennt dich ganz bestimmt. Im Augenblick erzählt er den Detectives gerade deine Lebensgeschichte.
Dann hat er
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