Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)
Bedingungen versuchen Dutzende, wenn nicht Hunderte dieser »guten« Verhaltensweisen zu fördern. Schon allein diese Anreize zu verstehen und die nötigen Kompromisse zu machen (entscheiden, was es wert ist oder nicht und wann) erfordert Bandbreite.
Wir fragen nie, ob wir wollen, dass die Menschen ihre Bandbreite auf diese Weise nutzen. Wir berücksichtigen diese Kosten nie, wenn wir entscheiden, welche Verhaltensweisen am ehesten gefördert werden sollen. Wenn wir Armutsprogramme entwerfen, gehen wir davon aus, dass die Armen knapp bei Kasse sind. Wir konzentrieren uns ganz auf dieses Problem und denken nicht daran, dass auchdie Bandbreite knapp ist. Das wird nirgends deutlicher als bei unseren Ausbildungsprogrammen. Unsere erste Reaktion auf viele Probleme ist, den Menschen die Fähigkeiten beizubringen, die ihnen fehlen. Sind wir mit Erziehungsproblemen konfrontiert, entwickeln wir Programme zur Verbesserung der Erziehung. Geht es um finanzielle Miseren − zu hohe Kredite mit viel zu hohen Zinsen −, bieten wir Kurse an, in denen man den Umgang mit Geld lernt. Haben wir es mit Angestellten zu tun, deren soziale Fähigkeiten im Argen liegen, bieten wir Kurse für Sozialkompetenz an. Wir behandeln die Erziehung, als wäre es die noch am wenigsten eingreifende Maßnahme, um das Problem zu lösen, sozusagen ein unverfälschtes Gut. Bei beschränkter Bandbreite stimmt das aber nicht. Erziehung und Bildung sind zweifellos eine gute Sache, wir behandeln sie aber, als seien sie für die Armen zu haben, ohne dass dafür ein Preis zu bezahlen ist. In Wirklichkeit erreicht man eine große Bandbreite nur mit hohen Kosten: Entweder konzentriert sich die Person nicht und unsere Anstrengungen sind vergebens, oder sie konzentriert sich − und eine Reduktion ihrer Bandbreite ist der Preis. Wenn sich die Person tatsächlich auf das Training oder die Anreize einlässt, auf was kann sie sich dann nicht konzentrieren? Ist dieser zusätzliche Kurs es tatsächlich wert, dass sie so viel ihrer besten Zeit nicht mehr für Lesen oder Spielen mit Kindern verwendet? Die Reduktion der Bandbreite birgt versteckte Kosten.
Und selbst wenn wir entscheiden, dass Erziehung das Richtige ist, kann es viele Wege geben, das in die Praxis umzusetzen und doch mit der Bandbreite sparsam umzugehen. Das wird sehr schön in der Untersuchung illustriert, die von der Ökonomin Antoinette Schoar und ihren Mitautoren durchgeführt wurde. Sie haben mit einer Institution für Mikrofinanzierung in der Dominikanischen Republik zusammengearbeitet, der ADOPEM (Asociación Dominicana para el Desarrollo de la Mujer; Dominikanische Gesellschaft zur Förderung der Frau). 8 Deren Klienten betreiben kleine Unternehmen wie Kramläden, Schönheitssalons und Essensdienste und haben in der Regel keine Angestellten. ADOPEM war der Ansicht, dass diese Kleinunternehmer in ihren Kontobüchern Fehler machen und die Finanzierung nicht so gut verstehen, wie sie sollten.Die Lösung erschien einfach: Der Umgang mit Geld sollte ihnen beigebracht werden. Schoar besorgte sich dazu ein Standard-Modul für Finanzkunde von der Art, wie es weltweit Kleinunternehmern angeboten wird. Schoars Reaktion, nachdem sie das Material gesehen hatte: Oh, oh, ermüdend! Dabei ist sie Professorin für Finanzwesen am MIT. Der Kurs dauerte einige Wochen und konzentrierte sich auf klassische Bilanzführung, unterrichtete in der täglichen Aufzeichnung von Ein- und Ausgaben, Bestandsaufnahme, Außenstände, Zahlungen und die Berechnung des Profits und der Investitionen.
In einer Welt mit unbeschnittener Bandbreite wäre das alles wissenswert. Schoar glaubte aber, dass sie in der realen Welt etwas Besseres für ihre Klienten entwickeln konnte. Sie stellte eine Gruppe der besten lokalen Unternehmer zusammen, um herauszufinden, wie sie mit ihren Geldern umgingen. Auch sie waren nicht mit komplexer Buchführung vertraut, sie machten aber etwas, was die weniger erfolgreichen Unternehmer nicht machten: Sie peilten über den Daumen und folgten diesem Rat. So wollten zum Beispiel einige das Geld aus ihrem Laden in eine Kasse geben und sich selbst einen fixen Lohn auszahlen. Das verhinderte die Vermischung von privatem Geld und Geschäftsgeld, was es schwierig gemacht hatte, die Ausgaben zu Hause von den Einnahmen in der Firma zu trennen. (Einige der Frauen hoben ein Bündel Geld für zu Hause im linken Körbchen ihres BHs auf, das Geschäftsgeld im rechten Körbchen.) Das ist noch nicht ganz die klassische
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