Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

etwas, das nur schwer zu messen ist. Ist das Programm erfolgreich, sollten sich seine Segnungen in verschiedenen Zusammenhängen zeigen. Ist sonst alles gleich, sollte man in der Lage sein, den Einfluss dieses Programms auf das Denken direkt zu sehen. Verbessern sich Arbeitsgedächtnis, Impulskontrolle und Selbstkontrolle? Einiges von dem Pessimismus bezüglich bestehender Programme kommt vielleicht von einem Versäumnis, diese Einflüsse zu sehen und zu messen. Betrachten wir dieses Kinderbetreuungsprogramm aus einem zu engen Blickwinkel, werden wir viele der Gewinne übersehen. Zusammengenommen kann eine erfolgreiche Intervention dieser Art viel mehr als einen bescheidenen Gewinn liefern. Wenn wir aber den Blick auf das Nötigste versäumen und die Erfolge übersehen, führt das zwangsläufig dazu, die Auswirkungen zu unterschätzen.
    Neben der Kinderbetreuung gibt es noch viele Beispiele, wie Bandbreite erweitert werden kann. Das erste stammt aus dem Finanzsektor. Erinnern wir uns daran, dass ein Großteil des Jonglierens der Armen davon kommt, die täglichen Brandherde löschen zu müssen. Wenn wir den Leuten bei dieser Brandbekämpfung helfen können, erzeugen wir neue Bandbreite. Diesen Bränden ist gemeinsam, dass sie akut sind: Es wird sofort Geld gebraucht. Es geht nicht um große Investitionen, sondern um kleine Summen − beispielsweise, um eine Schuluniform zu kaufen. Anders ausgedrückt: Die Armen wollen meistens das, was ihnen der Geldverleiher mühelos anbieten kann, nämlich eine kleine Menge Geld, die schnell zur Verfügung gestellt und schnell zurückgezahlt wird und aus der dringendsten Not rettet. Stattdessen sind die Geldhilfen, die den Armen angeboten werden, auf das entgegengesetzte Prinzip gegründet: mittlere oder größere Beträge, die mit Bedacht und langsam vergeben werden. Solche Kredite können für Investitionen wichtig sein. Wer aber dabei ist, einen Brand zu bekämpfen, hat keine Bandbreite für Investitionen. Ist es dann eine Überraschung, dass trotz der Existenz respektabler Institutionen für Mikrofinanzierung die Leute immer noch lieber zum Geldverleiher rennen? Wir haben in Indien ein sehr kurzfristig laufendes Programm für Kleinkredite mit den KGFS (Kshetriya Gramin Financial Services) getestet, einer Finanzinstitution, die alle Dienste anbietet und für die Armen auf dem Land da ist. Wir waren über den großen Bedarf an Krediten erstaunt, die unter 10 Dollar lagen. 9 Das Produkt hilft nicht beim Aufbau eines Vermögens, es macht aus einfachen Menschen keine Unternehmer. Oberflächlich gesehen sieht es nicht nach einer Geldsumme aus, die das Leben verändern kann. Aber genau das kann es. Die Knappheitsfalle beginnt mit der Bekämpfung von Brandherden und mit Scheuklappen, was Dinge betrifft, die außerhalb des Tunnels lauern und hohe Kosten verursachen. Wenn man das ändern kann, kann man die gesamte Logik derArmut verändern.
    Zu den tieferen Gründen der Armut gehört, dass das Einkommen in den Entwicklungsländern oft stoßweise und mit viel Auf und Ab fließt, weil die Arbeiter keine ständige Beschäftigung mit Vertrag haben. Selbst in den entwickelten Ländern gibt es viele Arbeiter im Niedriglohnsektor, deren Einkommen und Verdienst stark schwankt. Wie wir schon gesehen haben, ist ein schwankendes Einkommen eine der Hauptursachen dafür, dass es schließlich nötig ist zu jonglieren. Warum sollte man nicht versuchen, die Schwankungen zu vermindern? Ein größeres Gewicht auf die Schaffung verlässlicher Jobs und eines stabilen Einkommens für die Armen dieser Welt könnte psychologisch zu einer Veränderung beitragen.
    Wir können aber noch weiter gehen. Wir tendieren dazu, uns auf große Schocks zu konzentrieren wie etwa medizinische Notfälle oder Naturkatastrophen. Natürlich ist die Vorsorge für derartige Dinge wichtig. Wenn aber jemand jongliert, können schon kleine Schocks ähnlich große Effekte erzielen. Für einen armen Bauern kann schon eine kranke Kuh das tägliche Einkommen so sehr reduzieren, dass er in die Knappheitsfalle rutscht. Wir sollten daher die Armen gegen diese scheinbar »kleinen« Schocks versichern. In den USA kann schon so etwas Simples wie unregelmäßige Arbeitszeiten (diese Woche 50 Stunden, die nächste nur 30) zu Jonglieren und ständiger Knappheit führen. Eine Lösung wäre das Gegenstück einer Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, nämlich gegen Schwankungen der Arbeitszeit, die bei den Armen fast noch mehr Schaden anrichten