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Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition)

Titel: Knappheit: Was es mit uns macht, wenn wir zu wenig haben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sendhil Mullainathan
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oder abbrechen oder schon bei der Einschreibung Fehler machen. 2 Mikrofinanzprogramme in den Entwicklungsländern klagen, dass ihre Klienten nicht genug in Aktivitäten investieren, die Profit bringen. Stattdessen werden die Kredite verwendet, um alte Schulden zu bezahlen, auf »Brandmeldungen« zu reagieren (wie: Die Schulgebühren sind fällig!) oder einfach langlebige Güter zu kaufen. 3 Und Impfprogramme leiden darunter, dass die Menschen nicht kommen, um sich impfen zu lassen − mit dem Resultat, dass in den Entwicklungsländern immer noch kräftezehrende, aber heilbare Krankheiten toben.
    Wir haben das auch bei unserer eigenen Arbeit gesehen. Wir haben einmal als Ratgeber bei einem Sozialprogramm in den USA mitgewirkt, das Männern und Frauen, die staatliche Unterstützungbekamen, zu einem Arbeitsplatz verhelfen sollte. Eine der größten Herausforderungen waren die Klienten selbst. Obwohl sie immer wieder dazu angehalten wurden, bei der Arbeit in Arbeitskleidung zu erscheinen, versäumten sie das oft und waren falsch angezogen. Viele fertigten Berichte an, die unter jeder Kritik waren − schlecht formatiert und voller Tippfehler. Während das manchmal am Mangel an Wissen oder fehlenden Fähigkeiten lag, war es oft die Unfähigkeit, Pläne konsequent in die Tat umzusetzen. Selbst nachdem sie eingewiesen worden waren, benutzten nur wenige die bereitstehenden Computer, um ihren Berichten eine gute Form zu geben. Auch die Angebote, bessere Kleidung zu besorgen, wurden von vielen nicht angenommen. Als zum Schluss Prüfungen abgehalten wurden, erschienen die Klienten ohne Berichte und gaben nicht ihr Bestes. In vielen Fällen tauchten sie gar nicht erst auf.
    Die Entwickler dieses Sozialprogramms hatten nicht die Perspektive von Chapanis eingenommen. Statt ins Cockpit zu schauen, nahmen sie an, dass das Problem in den Köpfen der Klienten lag. Sie vermuteten, es würde an Verständnis und Motivation fehlen. Deshalb kamen sie mit Versuchen, erzieherisch einzuwirken oder den Anreiz zu vergrößern. In Entwicklungsländern führt das zur Diskussion einer »Kultur der Wohlfahrt«. Eine Lösung solcher Probleme ist, die Zahl der Jahre während eines Lebens zu begrenzen, in denen jemand Sozialhilfe bekommen kann. Das wird von einer einfachen Überlegung angeregt: Die Arbeitslosen sollen motiviert werden, sich einen Job zu suchen. Es hat auch dazu geführt, dass Hilfsprogramme strenger überwacht wurden, und es hat gelegentlich Politiker dazu motiviert, simple Transferleistungen zu stoppen. Beispielsweise wurde sauberes Wasser nur noch gegen eine Gebühr abgegeben. Eine weitere Folge waren gelegentlich Programme mit starken Anreizen, bei denen beispielsweise die Höhe der Geldzahlungen an verschiedene »gute« Verhaltensweisen geknüpft war.
    Aber warum schaut man nicht auf das Design des Cockpits statt auf die Arbeitsweise des Piloten? Warum überdenkt man nicht die Struktur der Programme, statt sich mit dem Versagen der Klienten zu befassen? Wenn wir akzeptieren, dass Piloten Fehler machen und dass Cockpits klug konstruiert sein müssen, um diese Fehlerzu verhindern, warum machen wir es mit den Armen nicht ähnlich? Warum ist das Design der Programme nicht toleranter gegenüber Fehlern der Klienten?
    Die gleichen Fragen können wir zu den Programmen zur Armutsbekämpfung stellen. Betrachten wir Trainingsprogramme, bei denen das Fehlen häufig und die Abbruchrate groß ist. Was passiert, wenn ein Klient, der überlastet und ausgelaugt ist, einen Kurs versäumt? Was passiert, wenn sein Kopf mit anderen Dingen beschäftigt ist? Der nächste Kurs wird erheblich härter. Versiebt man ein oder zwei Kurse, wird das natürliche Ergebnis sein, aus dem Programm zu fliegen. Vielleicht ist das auch die beste Option, wenn der Klient überhaupt nicht mehr versteht, was im Kurs diskutiert wird. Ein strikter Lehrplan, bei dem ein Kurs auf dem anderen aufbaut, verzeiht den Teilnehmern, deren Bandbreite überlastet ist, nichts. Nachdem unser Teilnehmer diesen und jenen Kurs versäumt hat, fängt für ihn der Absturz an, von dem er sich wahrscheinlich nicht mehr erholt. Das Programm ist so aufgebaut, dass die Teilnehmer keine Fehler machen, wenn sie nur motiviert genug sind. Um jene, die man nicht dazu bringen kann, die Kurse pünktlich zu besuchen, braucht man sich nicht zu kümmern: Sie »verdienen« das Programm nicht.
    Die Psychologie der Knappheit sagt aber voraus, dass derartige Fehler allzu selbstverständlich sein werden,

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