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Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)

Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)

Titel: Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Profijt
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jetzt sind Sie überrascht. Sollte die Polizei das nicht inzwischen selbst herausgefunden haben?«
    Ich war genauso baff wie Jenny, denn als sie und Gregor die Wohnung gefilzt hatten, war kein Hinweis auf einen Stecher aufgetaucht. Es müssen ja nicht gleich gebrauchte Zipfeltüten sein, aber normalerweise findet sich eine zweite Zahnbürste, ein Rasierer, vielleicht ein Männer-T-Shirt oder wenigstens ein Foto oder irgendetwas in der Wohnung einer Frau, die einen festen Freund hat. Frauen brauchen das, während Männer froh sind, wenn die Weiber nichts bei ihnen herumschimmeln lassen, also weder Tampons noch Gesichtscreme oder Enthaarungswachs. Ich lauschte jetzt also gespannt, wurde aber – mal wieder – enttäuscht.
    Paulinas Freund war ein netter, junger Mann. Zumindest sah er so aus. Glaubte Frau Sieger. Leider hatte sie ihn nur ein einziges Mal gesehen. Im Treppenhaus. Im Halbdunkel. Und seinen Namen kannte sie auch nicht. Aber sie sei ziemlich sicher, dass er Arzt sei, das habe Paulina ihr auf Nachfrage erklärt.
    »Haben Sie vielleicht mal ein Autokennzeichen gesehen, als er Paulina nach Hause gebracht hat?«
    »Nein.«
    »Hat sie mal einen Namen erwähnt?«
    »Nein.«
    »Wie lange war sie mit ihm zusammen?«
    »Ein halbes Jahr vielleicht.«
    Mehr war von Frau Sieger nicht zu erfahren, auch wenn sie wie eine Klette an Jenny hing und gar nicht mehr wegwollte. Ich verließ die beiden und folgte Gregor zum Altenheim. Da er seinen Vorsprung im Stau wieder verloren hatte, kamen wir gleichzeitig an.
    Gregor meldete sich nicht beim Empfang und fragte auch nicht nach der Leiterin Dr. Wenger, sondern ging ohne Umweg in die Hausapotheke.
    »Die Heimleitung kann Ihnen alle Informationen geben«, antwortete Till Krämpel auf Gregors Frage, wie die Untersuchung der Medikamentenbestände ausgegangen sei.
    »Ich bekomme Informationen lieber aus erster Hand.«
    Der Arzneiverteiler fügte den Sorgenfalten auf der Stirn eine weitere hinzu. Ich zählte sieben, alle glänzten speckig.
    »Die Überprüfung hat keine Fehlbestände ergeben«, sagte Krämpel. Mein Gott, der Typ lispelte, als hätte er einen Eierwärmer auf der Zungenspitze.
    »Warum hat das überhaupt so lang gedauert?«
    »Es ist ein komplexes System.« Leute mit Sprachfehler sollten Worte wie »komplexes System« meiden, dachte ich, während Gregor sich unauffällig die Speicheltröpfchen aus dem Gesicht wischte.
    Krämpel leckte sich den Schweiß von der Oberlippe. »Jeder Bewohner bekommt seine speziellen Arzneimittel, die wir auch für jeden Bewohner getrennt aufbewahren. Hier, sehen Sie.«
    Er öffnete die Tür eines großen Schranks, in dem ungefähr zweihundert schmale Schubladen jeweils mit einem Namen beschriftet waren.
    »Die Medikamente sind Eigentum des Bewohners. Wenn nun ein Arzt ein Mittel absetzt, entsorgen wir das Mittel nur nach Rücksprache mit unserem Bewohner. Möchte er es behalten, bleibt es hier. Eine dritte Möglichkeit ist, dass wir einen anderen Bewohner haben, der dasselbe Mittel nimmt, dann können wir den Rest der Packung weitergeben. Auch dazu benötigen wir die Zustimmung des Eigentümers. Stirbt jemand, gilt das gleiche. Zusätzlich sind natürlich noch die Verfallsdaten zu beachten, was manchmal dazu führt, dass die Reste einer Verpackungseinheit entsorgt werden müssen, obwohlder Patient das Mittel weiter nimmt. Dann muss das in der Buchhaltung korrigiert werden, weil nominell noch Pillen vorhanden sind, die aber faktisch fehlen. Verstehen Sie?«
    »Natürlich«, erwiderte Gregor. »Und alle diese Ein- und Ausgänge haben Sie geprüft und keinerlei Abweichung gefunden?«
    Krämpel nickte.
    Leute, die behaupten, sie beherrschten ein komplexes System ohne Fehler oder Abweichung, sind Lügner. Jede menschliche Erfahrung zeigt, dass Fehler zu komplexen Systemen dazugehören. Deshalb explodieren Raumfähren, darum verliert eine Formel-1-Karre mal ein Rad und darum stürzen Häuser in U-Bahn-Tunnel. Nur bei Herrn Stirnspeckfaltenwerfer war das komplexe System völlig fehlerfrei. Lächerlich.
    Auch Gregor schien sich nicht so einfach überzeugen zu lassen, denn er ließ sich ein paar Dokumentationsblätter zeigen, begutachtete die Schubladen mit den Namen, ließ sich erklären, wie Krämpel jeden Tag die Tagesrationen für die Bewohner zusammenstellte, und warf einen Blick auf den Müllbehälter für abgelaufene oder nicht mehr benötigte Arzneimittel. Die Box sah aus wie eine verschlossene Wahlurne. Die Tonne wurde von einem

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