Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
beauftragten Entsorgungsunternehmen abgeholt, im Haus besaß niemand einen Schlüssel.
»Sie sehen, dass man ein Medikament, das dort drin ist, nicht mehr herausholen kann«, sagte Krämpel.
Gregor nickte, dankte und verließ die Giftküche. Ich konnte seine Gedanken nicht lesen, aber meine beschäftigten sich mit der Feststellung, dass der Weg eines Blisterstreifens aus dem Apothekenschrank in die Müllbox verdammt nah an einer Kitteltasche vorbeiführte. Wenn man ein Medikament also gar nicht erst in die Müllbox,sondern lieber in die eigene Tasche steckte, war es auch egal, dass man das, was man nicht hineingeworfen hatte, nicht mehr hätte herausholen können.
Gregor war nicht gerade bester Stimmung, als er durch die Eingangshalle in Richtung Parkplatz schlenderte. Anfangs noch ganz in Gedanken, realisierte er erst nach ein paar Schritten, dass jeder Tisch in der Lobby besetzt war – und zwar von fast so vielen Jugendlichen wie Muppets.
Gregor blieb stehen und blickte sich ungläubig um. Diese Gelegenheit ergriff Susanne und schlich sich von hinten an ihn heran.
»Ungewöhnlich, was?«
Gregor fuhr herum.
»Mir scheint, du liest immer noch nicht regelmäßig Zeitung.«
Gregor schüttelte den Kopf. »Steht zu viel Blödsinn drin.«
Die beiden grinsten sich verschwörerisch an. Ich kapierte den Gag nicht.
»Aber du kannst mir sicher erklären, was hier abläuft.«
Susanne nickte. »Ich bin gewissermaßen die Hofberichterstatterin dieses Projekts. Es ist ein gutes Beispiel dafür, dass manchmal eine einzige gute Idee mehrere komplizierte Probleme löst. «
Gregor verzog das Gesicht. »Du weißt, dass ich allem misstraue, was einfach und unkompliziert klingt.«
Susanne lachte. »Problem eins: Die alten Leute in den Heimen langweilen sich, weil sie alle in derselben Situation sind und sich nichts zu erzählen haben. Problem zwei: Viele Kinder leiden unter dem Phänomen der Tagesobdachlosigkeit. Problem Nummer drei: Viele Eltern können sich keine Nachhilfe leisten. Und Problem Nummer vier: Schüler mit schlechtem Zeugnis bekommen keineLehrstelle, meist nicht einmal eine Chance, sich vorzustellen.«
Gregor nickte.
»Die Lösung: Schülerinnen und Schüler kommen ins Altenheim und verbringen ein paar Stunden in der Woche mit den Senioren. Die alten Leutchen haben jemanden, der ihnen zuhört, der ihnen erklärt, wie ein Handy funktioniert, oder der ihren Enkeln eine E-Mail schreibt. Manche Senioren geben den Kids Nachhilfe in Deutsch, Geschichte oder Mathe. Die Kinder, die an diesem Projekt teilnehmen, bekommen eine lobende Erwähnung auf ihrem Zeugnis über ehrenamtliches Engagement, was ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz erheblich verbessert.«
Gregor dachte einen Moment darüber nach. »Und das ist alles?«
Susanne grinste.
»Wo ist der Trick?«, fragte Gregor.
»Du bist ein unverbesserlicher Pessimist.«
»Ich bin Realist. Es mag Kinder geben, die ihre Zeit hier bei den alten Menschen verbringen wollen aus all den Gründen, die du genannt hast, aber doch nicht so viele.« Er deutete in die Halle. »Also? Was ist der wahre Anreiz?«
»Erwischt. Es gibt einen Sponsor. Für jede Stunde, die ein Schüler hier verbringt, zahlt die Weiz Pharma AG fünf Euro in die Klassenkasse. Das ist gerade für die Jahrgänge, die Klassenfahrten vor sich haben, eine riesige Motivation.«
Gregor grinste. »Es geht also, wie immer, nur ums Geld. Mein pessimistisches Weltbild ist wiederhergestellt.«
Susanne nickte lächelnd.
»Weshalb wolltest du mit mir reden?«
Susanne blickte sich um, als fürchtete sie Zuhörer. »Das möchte ich nicht hier besprechen.«
Gregor stöhnte.
Sofort wechselte Susannes Gesichtsausdruck von freundlich-entspannt zu ärgerlich-genervt. »Mach kein Theater, Gregor, ich mache auch keins. Dass ich dich damals mit meinem Korruptionsverdacht gegen deinen Chef in eine peinliche Situation gebracht habe, musst du mir nicht jedes Mal wieder in Erinnerung rufen.«
Gregor machte ein verkniffenes Gesicht.
»Du weißt, dass ich damals nach Mutters Tod nicht ganz zurechnungsfähig war.«
Gregor nickte.
»Okay. Dann lass uns jetzt einfach wie normale Menschen miteinander reden. Ich möchte gern einmal in Ruhe mit dir sprechen.«
»Warum?«
»Nicht hier.«
Gregor zögerte noch einen Augenblick, aber dann gab er sich einen Ruck. »Okay.«
»Wann hast du Zeit?«
»Morgen nach Feierabend.«
»Kommst du zu mir?«
Gregor nickte, dann war er weg.
Weder er noch Susanne hatten das halbgare
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