Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
Das rote Licht war aus, was mich nicht weiter beeindruckte. Ich hatte selbst oft genug kleine Verdrahtungskorrekturen an Sicherungssystemen durchgeführt, um zu wissen, dass ein rotes Licht nichts mit der Aufnahmefunktion zu tun hat.
Katrin hatte die Kameras auch gesehen, interessierte sich aber nicht für sie. Sie war blass und kaute am Nagel ihres linken Daumens.
Dann kam Gregor. Er wurde von einem Schließer in den Raum geführt und trat ein, wie er es gelernt hatte. Immer schön Abstand von dem Typ mit den Schlüsseln halten. Vor der Tür warten, durchgehen, weitergehen, wieder warten. Eineinhalb Meter war das Maß, in dem hier gemessen wurde, denn in diesem Abstand kann der Häftling dem Vollstrecker nix tun. Jedenfalls nicht aus dem Stand.
Katrin sprang auf.
Gregor trat wieder zurück und stand damit direkt an der Tür. Seine Miene war undurchdringlich. Katrin machte einen zögernden Schritt auf ihn zu. Gregor hob die Hand.
Katrin stoppte, als sei sie gegen eine Wand gelaufen.
»Warte nicht auf mich«, sagte Gregor. Seine Stimme klang wie das Röcheln eines defekten Anlassers.
»Wie bitte?«, stammelte Katrin.
»Bis ich hier wieder rauskomme, kannst du schon erwachsene Kinder haben und dir überlegen, wo du deine Silberhochzeit feiern willst.«
Katrin schwankte. »Gregor, was soll der Scheiß?«
»Es tut mir leid.« Gregor drehte sich um, ließ das Herumschlüsseln über sich ergehen und verschwand.
ZEHN
Ich war genauso geschockt wie Katrin, hing noch einen Moment bei ihr herum, aber dann folgte ich Gregor. Er ging schnurstracks in seine Zelle zurück, setzte sich, stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände und – heulte. Die Tränen liefen an den Unterarmen herunter, die Schultern zuckten, aber ich hörte keinen Laut. Nach zehn Minuten putzte er sich die Nase, legte sich hin und pennte ein. Mit einem miesen Gefühl verließ ich ihn wieder. Hier konnte ich vorerst nichts ausrichten.
Trotz der Stippvisite in Gregors Zelle kam ich immer noch vor Katrin im Institut an. Martin sabbelte einen Bericht in seinen Computer und war natürlich sauer, dass ich ihm dazwischenquatschte. Er setzte zu einem Grundsatzdampfgeplauder über die Wichtigkeit gemeinsamer Regeln und deren Einhaltung an, aber als ich ihm berichtete, was im Knast passiert war, vergaß er seinen Ärger. Er fragte drei Mal nach, ob ich sicher sei, auch alles richtig verstanden zu haben, ob Gregor nicht noch irgendetwas gesagt hätte, das das Gesagte relativiere, ob …
»Martin, er hat Katrin weggeschickt. Für immer. Und zu dem Mord an Sahne hat er sich nicht geäußert. Wir müssen dringend etwas unternehmen.«
Martin saß an seinem Schreibtisch und rührte sich nicht.
»Martin! Aufwachen! Wir müssen …«
»Gregor wird seine Gründe haben«, flüsterte Martin.
Das verschlug mir die Sprache.
»Wir sollten abwarten, was die Kripo Düsseldorf herausfindet«, fuhr er fort. »Das sind Profis, die kennen ihr Geschäft. Sie werden die Wahrheit aufdecken.«
Es mag sein, dass meine Karriere als Autoknacker mein Verhältnis zu Autoritäten negativ beeinflusst hat oder dass dieses Verhältnis schon vorher gestört war und ich deshalb auf die andere Seite des Gesetzes gewechselt habe, aber auf jeden Fall war meine Einschätzung der Situation mal wieder das totale Gegenteil von Martins. Die Düsseldoofer Kripo würde Gregor zu Lebenslang verknacken, weil er selbst keinerlei Anstalten machte, sich zu verteidigen. Seine einzige Chance waren wir. Genauer gesagt: ich. Nur dass ich ohne Martin mundtot war.
Das Problem war mir nicht unbekannt, es ist die große Tragödie meiner aktuellen Existenz, aber meine Erfahrung hatte mich gelehrt, dass ich Martin schon noch zur Mitarbeit überreden würde. Die Frage war, ob er freiwillig kooperierte oder erst unter Zwang. Beides war mir gleich. Allerdings musste ich zunächst mal einen Plan haben, wie ich Gregor aus dem Knast holen würde, und genau da lag das Problem. Ich hatte nicht den Schimmer einer Ahnung, wie ich einen Mordverdächtigen, der sich selbst nicht die geringste Mühe gab, seine Unschuld zu beweisen, aus den Fängen der hirnlosesten Bullen seit Erfindung des Tatorts befreien sollte.
Ich schaltete mich nach Hause, schimmelte ein bisschen in meinem Schrank herum, aber mir fiel beim besten Willen keine geniale Strategie ein. Mir fiel noch nicht einmal überhaupt eine Strategie ein. Aus lauter Frust gab ich meine Einsamkeit auf und besuchte Birgit in der Wohnung.Sie sah genau
Weitere Kostenlose Bücher