Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
Mann in einem blauen Anzug mit Krawatte. Ich musste ein Gähnen unterdrücken, ein Reflex auf Allerweltsgesichter auf Allerweltskörpern in blauen Anzügen mit Allerweltskrawatten.
Der Langweiler schloss im Gehen den mittleren Knopf seines Jacketts, strich sich mit der Hand über die ordentlich gescheitelten, mittelbraunen Haare und rückte seine randlose Brille zurecht. Er wurde gleich an der Tür von der Heimleiterin abgefangen und mit ekstatischem Händeschütteln begrüßt.
Ein Gong schallte durch das ganze Haus und aus allen Ecken kam weiteres Publikum angeschlappt, diesmal sogar die fleißigen Hände aus der Küche und zwei Tussen aus den Verwaltungsräumen. Und auch der Stirnfaltenträger aus der Hausapotheke trug zur Vergrößerung der Zuschauerschar bei. Die Heimleiterin Dr. Wenger höchstpersönlich führte den Langweiler in die Eingangshalle und stellte ihn neben das Mikro. Dann wartete sie, bis das Füßescharren beendet war, überprüfte mit einem scharfen Blick, ob auch alle Untergebenen ihrem Ruf Folge geleistet hatten, und räusperte sich, bevor sie das Wort ergriff.
In die langweilige Ansage hinein betrat Susanne Hauschild die Halle, stahl damit der Heimleitung die Schau, drängelte sich gleich nach hinten durch und heuchelte Interesse, als der Anzug an das Mikro trat. Mist, jetzt hatte ich die Erklärung verpasst, wer der Langweiler war.
»Guten Morgen, liebe …« Er zögerte.
Muppets, dachte ich, aber selbst wenn ihm genau das auf der Zunge gelegen hatte, schluckte er die Anrede hinunter.
»Meine Damen und Herren, ich freue mich, fast auf den Tag genau ein Jahr nach meinem ersten Besuch bei Ihnen wieder hier zu sein.«
Die Schreiberlinge schrieben, die Fotografen schossen ihre Fotos und die Fuzzis vom Lokalradio langweilten sich. Sie würden dem Kerl ihre Mikros nach der offiziellen Rede in den Hals schieben.
»Vor einem Jahr hat die Weiz Pharma AG ein Projekt ins Leben gerufen, das alte und junge Menschen zusammenbringen sollte zum gegenseitigen Nutzen.«
Aha, der Typ war der, der die Klassenschweine mästete.
»Der Erfolg hat unsere kühnsten Erwartungen übertroffen.«
Ich konnte dem einschläfernden Gesabbel nicht folgen, ohne sofort ins Koma zu fallen, daher schaute ich mich lieber um. Die Hälfte der Zuhörer schlief, die andere Hälfte nestelte an den Hörgeräten herum. Ob sie sie lauter stellen oder abschalten wollten, konnte ich nicht erkennen.
Ich überlegte gerade, ob ich ins nächstgelegene Beerdigungsinstitut düsen sollte, denn selbst dort musste es lebendiger zugehen als hier, als mir eine Bewegung im Hintergrund auffiel. Sahne schob sich langsam und unauffällig in Richtung Treppenhaus. Ich folgte ihr in den ersten Stock und in die Hausapotheke. Sie griff sich den Ordner mit den Medikamentenverordnungen, kopierte einen ganzen Schwung davon und sortierte mit zitternden Händen die Originale wieder ein. Sie nahm einen weiteren Ordner aus dem Schrank, kopierte wieder mehrere Seiten, die im Prinzip so aussahen wie die ersten, stopfte alle Kopien in ihre Tasche, prüfte, ob die Luft rein war, und verließ die Giftküche.
Wäre ich ihr direkt gefolgt, hätte ich wahrscheinlich gar nicht gesehen, dass sie beobachtet wurde. Da ich aber wissen wollte, welche Aufschrift der zweite Ordner trug, blieb ich noch kurz in dem Zimmer zurück. Leider hatte die gute Frau den Ordner wieder an seinen Platz im Schrank gestellt und die Tür geschlossen. In einem geschlossenen Schrank ist es dunkel wie im Elefantenarsch, daher sah ich gar nichts. Ich folgte Sahne also mit Verspätung und bemerkte nur aus diesem Grund die Person, die sich aus der Mauernische löste und Gregors Ex hinterherblickte. Den platinblonden Stoppelschopf hatte ich hier schon gesehen, er gehörte einem Perlhuhn von höchstens dreizehn Jahren, das ich für eine der hilfswilligen Schülerinnen gehalten hatte.
Kein anderer Schüler trieb sich um diese Uhrzeit hier herum. Kein anderer Schüler in Köln war vermutlich überhauptschon aufgestanden. Nur die Platine war hier. Warum? Und warum beschattete sie Susanne Hauschild, die ihrerseits in der Giftküche herumspionierte?
30. Juni, Tag 3 nach Gregors Festnahme
Katrin durchlief die Prozedur an der Gefängnispforte und saß endlich im Besuchszimmer, das nicht wie in amerikanischen Filmen mit schusssicherem Glas zwischen in und out getrennt war. Der Raum war einfach ein ganz normaler Raum. Gut, nicht ganz normal, denn die Überwachungskameras hingen sichtbar in den Ecken.
Weitere Kostenlose Bücher