Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
Gutachter in einem Mordfall auftreten musste, und ließ einfach den Mund offen stehen. Die Luft, die er für seine ausführliche Antwort geholt hatte, entwich nutzlos aus seinen Lungen. Sowohl der Anwalt als auch der Richter, die auf die Fortsetzung der Antwort warteten, wirkten leicht irritiert.
»Herr Doktor Gänsewein, würden Sie bitte die Frage beantworten?«, hakte der Anwalt nach einigen Sekunden nach.
»Nein!«, sagte Martin laut und deutlich.
»Nein?«, fragte der Anwalt fassungslos.
»Entschuldigung, ich meinte nicht Sie«, stammelte Martin.
»Birgit ist auf dem Weg zu ihm!«, schrie ich.
»Nein!« Dieses Mal brüllte Martin.
Der Anwalt, der Richter und alle weiteren Anwesenden glotzten Martin entgeistert an.
»Entschuldigung, ich muss weg«, rief Martin, während er aufsprang und aus dem Gerichtssaal stürzte. Vierundzwanzig Augenpaare folgten seinem Abgang, teils entsetzt, teils amüsiert. Ich blieb dicht an seiner Seite.
»Weiz Pharma ist der Schlüssel«, sagte ich. »Die Pillen hatten keinen Wirkstoff …«
»Das waren nicht die von Weiz Pharma«, korrigierte Martin mich.
»Ich glaube doch! Weiz wird als Shooting Star der familiengeführten Pharmaunternehmen bezeichnet, der in den letzten Jahren aus einer kleinen Auftragsfertigung mehrere Unternehmen entwickelt hat, die unter eigenen Marken selbst entwickelte Medikamente und Generika herstellen und vertreiben. Und seine verstorbene Frau hieß, jetzt halt dich fest, Melina!«
»Die Pillen im Haus Sonnenschein …«, murmelte Martin. Ihm ging gleich eine ganze Batterie Lichter auf. Logo, die medizinischen Themen liegen ihm einfach.
»Meine Theorie lautet, dass Paulina die Todesfälle im Heim mit den Pillen von MelinaMed in Verbindung gebracht hat. Immerhin hat Herr Hauschild mehrmals betont, dass sie in ihrer früheren Heimat Ärztin war. Sie hätte den Zusammenhang kapieren können.«
»Und dann?«
»Äh …«
Ja, ich weiß, was Sie jetzt sagen wollen. Als Erklärung für den Tod von Paulina und Sahne reichte das nicht, aber ich hatte ja auch noch gar keine Zeit gehabt, eine vernünftige Theorie zu entwickeln, weil Birgit nicht die Füße still halten konnte.
Wir hatten das Gebäude verlassen und steuerten den Parkplatz an. Martin hatte endlich sein Handy wieder eingeschaltet und versuchte, Birgit anzurufen. Die Ansage erzählte uns, dass der Gesprächsteilnehmer leider gerade nicht erreichbar sei. Scheiße!
»Und jetzt?«, fragte Martin verzweifelt. »Ich muss da hin.«
»Bis du mit deiner Schunkelbüchse am anderen Ende der Stadt angekommen bist, läuft von diesem Actionfilm schon längst der Abspann«, stellte ich fest.
Martin ließ ein Geräusch hören, das dem Aufheulen eines Wolfes glich. Eines kleinen, ängstlichen Wolfes. Eines Wolfswelpen, genauer gesagt.
Martin tippte die Eins-Eins-Null, aber ich stoppte ihn mit einem kurzen Befehl. »Wie willst du der Notrufsäule erklären, dass der hoch geachtete Hausherr des Anwesens, zu dem du die Bullen rufst, der Bösewicht ist? Bekannt aus Funk und Fernsehen als Wohltäter, aber leider heute in einer anderen Rolle?«
Das Fellbaby heulte wieder, lauter diesmal.
»Ruf Jenny an und sag ihr, sie soll Verstärkung mitbringen.«
Martin wählte Jennys Nummer, aber das Freizeichen läutete ungefähr acht Mal, bevor jemand den Hörer abhob.
»Kripo Köln, Offermann.«
Ich reckte die Daumen hoch – virtuell, natürlich. Offermann war von seinem Psychogesabbel zurück, offenbar wieder im Dienst und natürlich noch besser als Jennymaus. Die hatte zwar kapiert, dass im Hause Weiz irgendetwas nicht in Ordnung war, aber sie war halt eine Frau. Offermann war ein Kerl. Martin erklärte ihm die Situation und Offermann sagte die Worte, die jemand wie Martin von der Ordnungsmacht hören will, um sich wieder sicher zu fühlen: »Ich kümmere mich darum.«
Bastian Weiz fiel fast aus den Schuhen, als er Lila und Birgit vor der Tür stehen sah.
»Hat dich jemand gesehen?«, fragte er seine Tochter, während er die beiden so heftig hereinzerrte, dass sie strauchelten. Lila fing sich schnell, aber Birgits Bonsaiballonbrachte sie aus dem Gleichgewicht. Sie fiel auf Hände und Knie. Weiz zerrte sie grob von der Türschwelle und schloss die Haustür.
»Urg!«, machte Birgit und hielt sich den Bauch.
»Papa, was soll das?«, fragte Lila mit Panik in der Stimme.
»Los, aufstehen!«, kommandierte Weiz.
Lila straffte die Schultern. »Papa, ich will jetzt wissen, was eigentlich los ist. Was hast du mit
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