Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
eigentlich?«, flüsterte Lila unter Tränen.
Weiz legte kurz die Hände vor das Gesicht, dann stand er auf und ging zum Telefon. Er kramte Jennys Visitenkarte aus einer Schublade und wählte. Die Quakbox sprang an. »Frau Gerstenmüller, hier Weiz. Meine Tochter ist wieder zuhause, ich wollte Ihnen die ganze Geschichte erzählen, aber … na ja. Ein anderes Mal.« Er legte auf, blieb mit dem Rücken zum Sofa stehen und flüsterte: »Ich bin nicht der, für den du mich hältst.«
Lila schluchzte auf. Weiz kam auf sie zu und sie zuckte zurück. Weiz stoppte, als wäre er gegen eine Wand gelaufen, dann lief auch ihm eine Träne über die Wange. »Aber Lila, Liebling, du musst doch vor mir keine Angst haben.«
Lilaliebling zog lautstark die Nase hoch und blickte Birgit an, die mit schmerzverzerrtem Gesicht zurückstarrte. »Ich habe überhaupt keinen Plan, was hier eigentlich abgeht«, presste Birgit hervor. »Aber wenn dein Vater gerade die Kripo angerufen hat, mache ich mir schon deutlich weniger Sorgen als bisher.«
Weiz ließ sich in den Sessel neben Lila sinken und holte Luft. »Warum bist du weggelaufen?«
Er versuchte, Lilas Hand zu nehmen, aber sie drehte sich weg und presste die Hände zwischen die Knie.
»Ich habe das Gespräch belauscht an dem Abend, bevor ich abgehauen bin.«
Weiz wurde blass. »Das hatte ich befürchtet.«
Lila zitterte, aber sie hielt die Tränen zurück und den Rücken gerade. »Also, was hat das alles zu bedeuten?«
»Ich habe deinen Onkel umgebracht.«
Lila wurde weiß, Birgit krümmte sich zusammen. Moment mal, dachte ich, wovon redete der Typ denn da? Ich erwartete eine Geschichte, in der falsche Pillen, Paulina und Sahne vorkamen und da sabbelte der Kerl etwas von der peinlichen Verwandtschaft?
Weiz’ Stimme unterbrach meine Gedanken. »Er hatte mich angerufen und zu sich in die Apotheke bestellt, weil er mit mir reden wollte. Ich konnte mir denken, worum es ging, und ich hatte recht. Er machte mich darauf aufmerksam, dass unser Grippe-Impfserum nicht wirkte, aber bei vielen Leuten Nebenwirkungen verursachte. Es lag an einem verunreinigten Rohstoff, den wir aus Asien bezogen hatten.«
Birgit stöhnte, aber ich bezweifelte, dass das etwas mit der Geschichte von Lilas Onkel zu tun hatte, denn sie hielt ihren Bonsaiballon fest und machte nicht den Eindruck, dass sie dem Gespräch überhaupt noch folgte.
»Ich bat ihn, mit offiziellen Schritten noch ein wenig zu warten, denn ich verhandelte gerade mit der Bank über einen neuen Kredit«, fuhr Weiz fort. »Bei einer Rückrufaktion hätte die Bank den Kredit abgelehnt, damit wäre die Firma insolvent gewesen. Dein Onkel wollte nicht hören, wir haben uns heftig gestritten. Er griff nach mir, wir haben miteinander gerangelt, dabei habe ich meinen Siegelring verloren. Ich riss mich los und stieß Stefan weg, er stolperte und fiel über den Hocker. Den Rest kennst du.«
Lila starrte ihren Vater mit großen Augen und offenem Mund an.
Birgit hatte Schweißtropfen auf der Stirn, aber sie hatte offenbar zugehört. »Ich kenne den Rest nicht«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. »Was passierte dann?«
»Mein Schwager brach sich das Genick. Ich fühlte seinen Puls, als ich hörte, dass das Glas der Eingangstür zerbrach. Ein Junkie hatte die Scheibe eingeschlagen und dadurch den stillen Alarm ausgelöst. Er war auf der Suche nach Morphium und er hatte offenbar eine Ahnung, wo er schauen musste, denn er steuerte direkt auf das richtige Regal zu. Mich bemerkte er nicht. Ich verschwand durch die Hintertür und beobachtete noch von schräg gegenüber, wie die Polizei kam. Sie fanden den Typen mit Stefans Portemonnaie in der Hand und seinen Fingerabdrücken an Stefans Hals.«
»Aber … der Junkie hat Onkel Stefan umgebracht«, flüsterte Lila.
»Nein«, sagte ihr Vater. »Als der Junkie in die Apotheke einbrach, war Stefan bereits tot. Er hatte nur das Pech, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein.«
Birgit kniff die Augen zusammen und stöhnte wieder. Weder Weiz noch Lila beachteten sie.
»Aber was hat das alles mit Paulina zu tun?«, fragte Lila schluchzend.
»Stopp«, sagte Birgit und machte mit den Händen das Time-out-Zeichen. »Könnten Sie mir bitte ein Taxi rufen? Ich glaube, das Kind kommt.«
»Hier ruft niemand ein Taxi.«
Die Stimme aus dem Off kam mir bekannt vor und natürlich: sie gehörte Offermann, der in der Wohnzimmertür lehnte. Er hatte beide Hände in den Taschen seiner Jacke
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