Knast oder Kühlfach: Roman (German Edition)
offenbar nicht gesucht.« Ihre Stimme war so leise, dass ich mich sehr anstrengen musste, den Satz zu hören.
Birgit nahm das dritte Stück Kuchen in Angriff.
»Warum bist du überhaupt von zuhause abgehauen?«, nuschelte sie.
Die Platine schwieg eine ganze Weile. Sie schien mit sich zu ringen, wie viel sie Birgit erzählen sollte, aber dann zuckte sie die Schultern und seufzte. »Das Übliche.«
Na toll, in ihrer Mitteilungsfreude unterschied sie sich leider nicht maßgeblich vom Papa.
»Du musst die abgelöffelten Seniorenresidenzler exhumieren lassen«, brüllte ich, sobald ich bei Martin war. Er ließ das Hirn fallen, das er gerade aus einem der Bandidos herausgesägt hatte. Verdächtig klein, übrigens. Das Hirn, nicht der Bandido.
»Durchschnitt«, korrigierte Martin mich. »Deins war nicht größer.«
Pisser.
»Das habe ich gehört.«
Martin hatte inzwischen das Hirn gewogen, ein Scheibchen abgesäbelt, das als Histoprobe in einem Einmachglas landen würde, und den Rest wieder in die Schädelhöhle zurückgestopft.
»Also, der Reihe nach«, forderte er mich auf.
»Dazu servierst du eine glaubhafte Theorie«, erklärte ich. »Krämpel hat die Alten kaltgemacht, Paulina hat eskapiert. Sie hat ihn erpresst und Sahne hat Wind davon bekommen.«
Martin überlegte einen Moment, während das Skalpell über der Leiche des Bandidos schwebte. Der Kollege, der an der anderen Seite des Tisches stand, um die Obduktionsergebnisse zu protokollieren, starrte Martin fragend an.
»Aber es sieht doch gar nicht so aus, als ob Krämpel seine Hände im Spiel hatte. Viel wahrscheinlicher ist, dass die Patienten aufgrund von mangelhaften Medikamenten …«, murmelte Martin.
»Die Tatsachen sind jetzt erst mal völlig egal«, sagte ich.
»Ja, das ist genau dein Stil«, erwiderte Martin gehässig.
»Quatschklappe zu und Horchlöffel auf«, entgegnete ich. »Wichtig ist: Mit dieser Theorie schaffen wir es, dass die drei Kripos zusammenarbeiten.«
Martin stellte schockiert fest, dass die Idee genial war, auch wenn er sich Mühe gab, diese Erkenntnis vor mir zu verbergen. Aber er musste zugeben, dass wir aktuell das Problem hatten, dass es drei Kripos gab, die vollkommen aneinander vorbei vor sich hin wurschtelten. Die Düsseldorfer, die für den Mord an Sahne zuständig waren und ihren Verdächtigen bereits eingedost hatten, die Kölner im Fall Paulina und die Sauerländer im Fall Jagdhütte, wie sie ihn nannten.
»Ich werde sehen, dass ich anhand von Susannes Daten eine einigermaßen plausible Verdachtssituation begründen kann«, sagte Martin.
Keine Ahnung, warum er es so kompliziert ausdrücken musste, aber Hauptsache, er brachte Bewegung in die Sache.
Abends arbeitete Martin einen Bericht aus, in dem er Sahnes Daten als eigene Recherche darstellte und darauf hinwies, dass die Mortalität in der Seniorenresidenz Sonnenscheinauffällig erhöht war. Er schrieb weiter, dass es nun auch im Umfeld des Heims zu weiteren Todesfällen gekommen sei, nannte namentlich Susanne Hauschild als Tochter eines Heimbewohners und Krämpel als Beschäftigten und wies dezent darauf hin, dass alle diese Fakten eine genauere Untersuchung der Umstände der Todesfälle des letzten Jahres mehr als rechtfertigen würden. Schließlich schickte er seinen Bericht als E-Mail an seinen Chef, an die Soko Sahne, an Jenny, an die Sauerländer Bullen und an den Kölner Staatsanwalt. Dann erklärte er mir, dass er für den Rest des Abends nicht gestört werden wolle, und ließ die Jalousien runter.
Ich war begeistert. Damit hing ich ja mal wieder total in der Luft. Martin und Birgit auf der Couch vor der Glotze mit einem Lehrfilm für junge Eltern, Katrin verschwunden und Gregor immer noch im Knast. Yuri hing immer noch auf der Intensivstation an den Geräten, die einen Geisteralarm auslösten, als ich nach ihm sah. Voll peino, aber nicht überraschend. Die Interferenzen mit den Überwachungsfunktionen auf der Intensivstation hatte ich immer gehabt. Für mich jedes Mal ein schöner Beweis dafür, dass ich noch am Leben war.
Als ich Yuri verließ, kam gerade Offermann um die Ecke. Er erkundigte sich nach dem werten Befinden des Opfers, das er niedergeballert hatte, aber die Krankenschwester machte einen auf Auster und berief sich auf ihre Schweigepflicht. Auch Offermanns verzweifeltes Gesicht, als er erklärte, dass er zwar korrekt gehandelt habe, sich aber trotzdem gräme, erweichte sie nicht. So schwätzte er eine Zeit lang mit der Uniform, die vor
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