Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Gefühle. Und du kannst nicht mit ihnen leben.«
Ich trinke meinen Kaffee aus und sage:
»Ich muss wieder ans Gericht.«
»Grüß schön«, sagt sie und lächelt. »Was machste eigentlich gerade?«
»Mädchenhändler verprügeln.«
»Sehr gut«, sagt sie. »Und sonst?«
»Wir sind da an einer ekligen Sache dran«, sage ich, »hat was mit Zerschneiden zu tun. Das willst du, glaub, ich gar nicht wissen.«
»Igitt, zerschneiden«, sagt sie. »Dann lass mal stecken.«
Wir umarmen uns kurz, und das tut nun wirklich sehr gut. Mit Carla kann ich das irgendwie besser als mit anderen. Ich bin schon fast draußen, da fällt mir noch was ein.
»Ach, Carla?«
»Ja?«
»Wann läuft denn die Sendung von dieser Köchin?«
»Heute Abend«, sagt sie, »um zehn.«
*
Saigon. Das muss ich immer denken, wenn es so schwül ist in Hamburg. Wenn der Himmel nicht blau ist und auch nicht grau, so wie meistens, sondern wenn er diesen giftigen Gelbstich hat. Das kommt von der Elbe, dieses Saigon-Gefühl, feucht und schwer und stickig. Aber es hat auch was Erleichterndes, denn auch wenn man wollte, man könnte sich gar nicht anstrengen. Es würde nicht klappen. Physikalisch unmöglich. Das Wasser im Körper spielt nicht mit. Es hängt in den Seilen. Und alle schlendern. Gerade auf Sankt Pauli ist dieses Prinzip ja schon immer sehr beliebt gewesen. Einfach ganz in Ruhe den Tag versemmeln.
Ich brauche für den knappen Kilometer vom Gericht zum Kiez eine gute halbe Stunde. Und als ich dann am Millerntorplatz stehe und ganz langsam die Reeperbahn runterschaue, habe ich ausnahmsweise mal überhaupt keine Lust, die Meile runterzulaufen. Vielleicht weil Freitag ist. Denn am Freitag gehört die Reeperbahn nicht den Sankt-Paulianern. Am Freitag gehört sie schon ab Nachmittag den Touristen und Partyschnepfen, und die mag ich alle nicht. Die kreischen und quieken und blöken und grölen und reden in so vielen Dialekten und Melodien durcheinander, dass sich mir sofort das Hirn verdreht. Deshalb biege ich beim Imperialtheater in die Seilerstraße ab, und sofort ist es friedlich. Wie immer in dieser Straße, die wirkt, als wäre sie aus dem Amüsierviertel gefallen. Ich schlurfe über die Detlev-Bremer-Straße, und da ist an der Ecke diese Kneipe, die ist so dunkel, da kann man nie, aber auch nie von außen sehen, was innen los ist. Fest steht nur, dass innen ein Schnaps ausgeschenkt wird, der heißt Ficken und kostet einen Euro. Ein Haus weiter hat jemand mit einem dicken Filzstift Deutschland, halt’s Maul an die Wand geschrieben. Ich mag die Seilerstraße.
Ich mache die oberen Knöpfe von meinem Hemd auf. Der Himmel rückt immer näher, er ist inzwischen von einem satten Gelb. Ich gehe rüber auf die andere Straßenseite, setze mich in den kühlen Hauseingang der alten Schule, zünde mir eine Zigarette an und beobachte ein bisschen das Spektakel beim Harleyschuster, dem bärtigen, haarigen Mann, der aussieht, als würde er nur Schuhe besohlen, die ihm gefallen. Er sitzt hinter seiner Werkbank, raucht Zigarren und kuckt finster, während vor seinem Laden ein paar heiße Babes auf ihren Motorrädern rumlungern. Kundschaft sieht man beim Harleyschuster selten. Das liegt wahrscheinlich daran, dass der Mann nicht so aussieht, als könne man ihm einen Auftrag geben oder ihn um einen Gefallen bitten. Der Harleyschuster sieht aus, als müsse man ihm ein Opfer bringen, am besten ein lebendes. Wer hier Kunde werden will, braucht Eier in der Hose. Und Bargeld in der Tasche. Über seiner Werkbank steht in großen schwarzen Buchstaben: In God we trust. All others pay Cash. Aber letztlich sieht das alles nur so bissig aus. Sobald der Harleyschuster einmal den Mund aufmacht, fällt ihm da ein herzliches Lächeln raus und eine samtige Stimme, und da ist es dann wieder: Sankt Pauli. Von außen hart, von innen zart, und 1-a-Profiarbeit.
Die Elvisfriseurin am anderen Ende der Straße fährt ein ähnliches Konzept. Sich bloß nicht beim Kunden einschleimen, das ist unehrenhaft. Ich gehe da gerne hin. Einerseits natürlich wegen der konsequent durchgezogenen Elvis-Verherrlichung, das Ding ist ja mehr ein Altar als ein Laden. Aber auch, weil sie einfach macht, was sie für richtig hält. Bei der gibt’s klare Ansagen. Als mal einer bei ihr auf dem Stuhl saß und gefragt hat, ob sie ihm die Haare bitte so schneiden könnte, dass das oben ein bisschen voller wirkt, hat sie gesagt:
»Hör mal, wir sind hier beim Friseur, und nicht bei Siegfried und Roy.«
Ich
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