Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
Haare sehen aus wie ein Schwamm. Sie hat einen Hund dabei, einen winzigen Yorkshire-Terrier, der locker in ihrem Haar wohnen könnte, und der auf dem Arm dieser mächtigen Frau aussieht wie ein Knallbonbon. In jedem anderen Viertel Hamburgs würde der Hund in der Tasche der Beckham-Tante sitzen. Auf Sankt Pauli nicht. Da zählt nämlich noch der Charakter.
Ich bin dran und schiebe dem Postbeamten meine Karte rüber.
»Mit Luftpost, bitte«, sage ich.
»Wollen Sie nichts draufschreiben?«, fragt der Mann hinterm Schalter.
»Was?«
»Wollen Sie nichts draufschreiben?«
Er hat recht. Ich sollte irgendwas draufschreiben. Aber ich habe keine Ahnung, was. Er hält mir einen Kugelschreiber hin.
»Was schreiben die anderen Leute denn so auf ihre Karten?«, frage ich.
Sein Blick ist voller Verachtung. Er hat überhaupt keinen Bock auf meine Aktion hier. Hinter mir stehen noch fünf Leute. Der Mann will Feierabend machen.
»Okay«, sage ich, »kleinen Moment, ja?«
Dann schreibe ich: Viele Grüße. C.
Was anderes fällt mir nicht ein.
*
Ich bin unten an der Haustür, als mein Telefon klingelt. Der Calabretta ist dran.
»Stör ich?«
»Überhaupt nicht«, sage ich. »Ich hätte Sie auch gleich noch angerufen. Wie sieht’s aus?«
»Wir stellen die Stadt auf den Kopf«, sagt er, »aber wir kommen nicht weiter. In den Krankenhäusern und Schlachtereien ist keinem der Kollegen irgendwas aufgefallen, wo man hätte einhaken können. Da war alles sauber. Wir haben auch noch mal gecheckt, ob es nicht vielleicht doch eine Verbindung zwischen den drei toten Männern gibt. Nichts. Und in deren komplettem Umfeld hat niemand auch nur annähernd so was wie ein Motiv. Die einzige Kandidatin wäre die junge Frau, die diesen Hendrik von Lell im letzten Jahr angezeigt hat. Ich dachte kurz, vielleicht wollte sie auf eigene Faust loslegen, wo der Typ doch damals davongekommen ist. Aber sie ist vor vier Monaten mit ihrem Freund nach Melbourne ausgewandert. Und warum hätte sie die anderen beiden umlegen sollen?«
»Puh«, sage ich. »Und wir haben immer noch keine Spur von den Körpern unserer ersten beiden Toten?«
»Nichts«, sagt er. »Lupara Bianca.«
»Was?«
»Die weiße Flinte. Altes Mafiading. Mord ohne Leiche. Die Toten werden auf einer Baustelle einbetoniert oder den Schweinen zum Fraß vorgeworfen.«
»Woher wissen Sie so was?«, frage ich.
»Ich bin Neapolitaner«, sagt er.
Er hört sich verstockt an, als er das sagt.
»Und jetzt?«, frage ich. »Wie machen wir weiter?«
Er sagt nichts, räuspert sich nur.
»Sollten wir vielleicht mal mit dem Faller reden?«, frage ich. Ich frage das nicht gerne. Ich will nicht, dass der Calabretta das Gefühl hat, ich traue ihm nichts zu.
»Ich hatte gehofft, dass Sie das vorschlagen würden, Chef«, sagt er. »Wann?«
»Jetzt ist er wahrscheinlich schon weg«, sage ich. »Und samstags ist er immer mit seiner Tochter unterwegs. Übers Wochenende können wir ja eh nicht viel anleiern. Sonntag?«
»Sonntag«, sagt er, und dann legt er auf.
Ich schließe die Haustür auf, steige die Treppen zu meiner Wohnung hoch, schließe auf, mache die Tür hinter mir zu, ziehe mich aus, lasse mir lauwarmes Wasser ein und lege mich in die Wanne. Saigon.
*
Als ich aufwache, friere ich wie ein Schneider. Kein guter Trick, in der Wanne einzuschlafen. Ich stehe auf, trockne mich ab und ziehe ein frisches Hemd und eine Boxershorts an.
Es ist kurz vor zehn. Ich gehe in die Küche, hole zwei Flaschen Bier aus dem Kühlschrank, nehme meine Zigaretten und gehe rüber zu Klatsche. Ich klopfe, er macht auf und sagt:
»Hey, Baby.«
Er lehnt im Türrahmen, eins neunzig groß, in schmutzigem Unterhemd und zerschlissener Jeans, seine struppigen dunkelblonden Haare schauen im Nacken unter seiner Baseballkappe hervor, seine grünen Augen funkeln, und er riecht nach Sand und Sonne. Er sieht aus wie ein verdammter Surfer.
»Warst du am Meer?«, frage ich und ziehe ein Stückchen von einer weißen Muschel aus seinen Strähnen.
»Yep«, sagt er, »bin gerade erst reingekommen. Der Onkel hat sich heute freigenommen.«
Klatsche überlässt seinen Schlüsseldienst im Sommer gerne mal sogenannten Angestellten. Irgendwelchen Rumtreibern und Ex-Halunken, die er aus seiner Einbrecherzeit oder aus dem Knast kennt und die sich ein bisschen was dazuverdienen, indem sie für ihn Türen öffnen. Natürlich nur auf ausdrücklichen Wunsch der Kunden, sagt Klatsche. Ich bin mir nicht sicher, ob er wirklich weiß,
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