Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)
so heiß. Die Schwüle ist ein bisschen raus aus der Atmosphäre.
»Also«, sagt er, »was ist jetzt?«
»Was ist womit?«
»Mit unseren toten Männern«, sagt er. »Wo machen wir weiter? Der alte Faller war uns ja keine große Hilfe.«
»Gibt’s vielleicht irgendwas, woran wir noch gar nicht gedacht haben?«, frage ich. »Die ganz andere Lösung? Eine Ecke, in die wir mit unseren Ermittlungen nicht reinkommen? So eine Art toten Winkel?«
Der Calabretta schaut mich an. Er sieht aus, als würde er etwas sagen wollen, als läge ihm was auf der Zunge, eine Idee, ein Anfang, irgendwas. Aber dann sackt er zusammen, atmet schwer aus und sagt:
»Ich weiß es nicht. Ich bin so müde.«
Es klackert neben mir, und dann kommt eine Frau die drei Stufen aus der Eisdiele runter auf den Gehsteig. Ihre schwarzen Locken sehen aus, als ob sie unter der Farbe schon sehr grau sind, und so sieht auch ihr Gesicht aus, aber die Frisur ist auf eine trotzige Art jugendlich mit einer rosa Klemme am Hinterkopf zusammengesteckt. Zu diesem rührenden Frisurversuch trägt sie einen zipfeligen weißen Spitzenrock, so ein wildes Ding mit Zacken am Saum. Auf ihre Jeansjacke sind haufenweise Pailletten gestickt. Totenköpfe, Blumen, Herzen, Tränen. Sie hat diese bizarren Stoffturnschuhe an, die zwar einerseits Turnschuhe sind, andererseits aber echt hohe, dünne Absätze haben. Gummistöckelschuhe. Dabei kann sie kaum gehen. Sie kommt auf zwei Krücken aus der Eisdiele. Die Frau braucht eigentlich einen Rollstuhl. Ich brauche einen Augenblick, bis ich begreife: Ihr Rollstuhl steht gegenüber. Sie steigt doch tatsächlich in dieses dicke silberne S-Klasse-Coupé, das da schon die ganze Zeit in zweiter Reihe parkt. Das ist eine richtig fette Zuhälter-Schleuder, voll verchromt und verfelgt, mit allem Pipapo. Nur am linken hinteren Kotflügel, da rostet eine gigantische Beule. Die Frau klettert umständlich in ihren Benz, lässt den Motor an und braust davon. Die Karre hört sich an wie ein Panzer.
»So viel steht fest«, sage ich, »die war’s auf jeden Fall nicht.«
Eine Weile, wenn sie abends nach Hause kam, stellte sich der hässliche kleine Mann auf der anderen Seite der Straße an sein Fenster, ließ die Hosen runter und wedelte sich einen von der Palme. Erst hatte er es im Dunkeln gemacht, dann im Licht, inzwischen hampelte er manchmal sogar komplett nackt am Fenster rum. Es ging ihr tierisch auf den Wecker. Sie wollte ihre Ruhe haben und auch mal wieder aus dem Fenster schauen. Deshalb rief sie irgendwann die Polizei an. Die Frau von der Sitte kam auch schnell vorbei. Schaute sich das alles genau an. Sie sah den Wichser sogar in Aktion, zwei Frauen sind besser als eine, dachte der sich wohl.
Ich muss Ihnen leider raten, den Mann nicht anzuzeigen, sagte die Polizistin. Der kriegt vielleicht ein paar hundert Euro Geldstrafe, sagte sie, mehr nicht. Und er wird wissen, von wem die Anzeige kommt. Da kann ich nicht für Ihre Sicherheit garantieren.
Was soll ich machen?, fragte sie.
Sie müssen das wohl aushalten, sagte die Polizistin.
Wie einst Lili Marleen
I ch stehe im Gerichtssaal, der Tag war lang und zäh und wieder so verdammt schwül, diese blöden Verteidiger sind mir mit ihren weinerlichen Plädoyers auf die Nerven gegangen, und jetzt verkündet der Richter sein Urteil, und ich bin kurz davor zu randalieren. Zweieinhalb Jahre. Wenn die Arschköpfe sich im Knast nicht ganz doof anstellen, sitzen sie nächstes Jahr an Weihnachten wieder zu Hause unterm Baum. Das hätte ich im Leben nicht gedacht, dass die Verteidigung mit ihrem Geseiher durchkommt. Von wegen Ersttäter mit echt schlimmer Kindheit. Diese schreckliche Armut. Und organisiert war der Mädchenhandel schon mal gleich gar nicht, die Jungs sind doch Cousins. Die haben sich nur gegenseitig geholfen. Man muss doch von irgendwas leben. Ich kotze.
Und die beiden Täter stehen zwischen ihren Anwälten und feixen sich einen auf ihre Muschistrafe. Wäre ich eins von den Opfern, ich würde den ganzen Laden anzünden.
Ich muss hier raus.
Draußen auf der Straße hole ich Luft, rauche eine Zigarette in drei Zügen und mache mein Telefon an. Fünf Anrufe in Abwesenheit. Einer von Klatsche, vier vom Calabretta. Und eine Nachricht auf der Mailbox:
»Riley, rufen Sie zurück, sobald es geht. Wir haben einen Hinweis. Und der gilt ausnahmsweise sogar mal.«
Ich rufe den Calabretta an, er geht sofort ran.
»Hey«, sage ich, »schießen Sie los.«
»Heute Mittag hat sich einer
Weitere Kostenlose Bücher