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Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition)

Titel: Knastpralinen: Ein Hamburg-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simone Buchholz
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soll das denn?«
    Ich zucke mit den Schultern.
    »Ist so ein Gefühl.«
    »Das ist ein Scheiß«, sagt er und knufft mich in den Oberarm, »so ein Schwachsinn.«
    Das mag ich so am Calabretta. Er behandelt mich nie wie eine Staatsanwältin. Er behandelt mich so, wie er jede andere Bekloppte auch behandeln würde.
    Wir gehen weiter, ich zünde mir eine Zigarette an. Es ist mehr als ein Gefühl. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die toten Männer nicht unschuldig waren. Ich glaube, die haben was gemacht, und dafür haben sie mit dem Leben bezahlt. Deshalb finde ich es nicht tragisch, dass sie tot sind. Und ich glaube, der Calabretta versteht das nicht.
    »Was machen denn unsere Mädchenhändler so?«, fragt er.
    »Morgen gibt’s die Plädoyers«, sage ich. »Und dann sind die Typen hoffentlich für ein paar Jahre weg vom Fenster. Alles andere wäre ein verdammtes Wunder.«
    »Gut gemacht«, sagt er.
    »Selber«, sage ich.
    Wir laufen am Kaispeicher vorbei. Da hinten ist der Leuchtturm. Nur der Faller, der ist nicht mehr da.
    *
    »Ein Mann ohne Bauch ist ein verdammter Krüppel«, hat der Calabretta gesagt und sich auf den kleinen Ring über seinem Gürtel geklopft, und dann haben wir beschlossen, dass wir in die Kleine Pause gehen, Currywurst Pommes essen.
    Die Kleine Pause ist die Art von Imbiss, die es eigentlich nur noch im Fernsehen gibt. Fast rund um die Uhr auf, mit einer Unterbrechung zwischen fünf und sechs Uhr morgens, und mit Stammgästen, die sich die Schichten teilen. Mindestens zwei sind immer da, es gibt also permanent was zu klönen und zu beschnacken. Die Damen vom Grill sehen super aus, jede ist ihre eigene Marke. Die eine zum Beispiel trumpft seit Jahren mit den wildesten Haarfarben auf. Blau, Lila, Rot, gestreift, da war schon alles dabei. Und so sitzen wir jetzt schön an der polierten Achtziger-Jahre-Theke, trinken Alsterwasser vom Fass und lassen uns beschimpfen. Die Beschimpfung durch die Chefinnen gehört in der Kleinen Pause dazu. Wer sich gut beträgt, wird liebevoll beschimpft, wer sich nicht benehmen kann, wird richtig beschimpft und fliegt raus. Ich habe den Verdacht, das ewige Ausschimpfen der Gäste ist im Grunde fürsorglich gemeint. Als müsste man die Leute auf Sankt Pauli ihr ganzes Leben lang erziehen, damit sie auch ja anständig bleiben und keinen Mist bauen.
    »Wir kriegen noch zweimal Currywurst Pommes«, sagt der Calabretta in Richtung Theke und reckt den Finger in die Luft. Es dauert ihm zu lange.
    »Das wollen wir doch erst mal sehen. Ihr zwei verhungert schon nicht. Nä, mein Dickerchen?«
    Der Calabretta nimmt einen großen Schluck von seinem Alsterwasser und versucht, nicht beleidigt zu sein. Er weiß, dass er dann sofort noch eine hinterher kriegt.
    »Wie war’s eigentlich in Neapel?«, frage ich. »Sie haben noch gar nichts erzählt.«
    »Das war schön«, sagt er, und sofort schwimmt ein eigentümlicher Glanz in seinen Augen. Das ist nicht immer so, wenn der Calabretta von Italien erzählt. Das scheint irgendwie tagesformabhängig zu sein. Es gibt Tage, da ist Italien einfach nur ein verkommener Haufen Dreck, mafiaverseucht, korrupt, weinerlich. Und es gibt Tage, an denen ist Italien das gelobte Land, die verlorene Heimat, die große Sehnsucht. Heute ist offensichtlich einer von den sentimentalen Tagen.
    »Hätten wir Pizza essen gehen sollen?«, frage ich.
    »Die wäre wahrscheinlich schneller auf dem Tisch gewesen«, sagt er. Er tut brummig und schaut aus dem Fenster. Heißt in Calabrettasprache: Lass mich mal kurz. So viel weiß ich inzwischen über meinen Kollegen. Vielleicht ist genau das die Schwelle zur Freundschaft. Wenn man lernt, die Codes des anderen zu entschlüsseln.
    Als unser Essen kommt, sind seine Augen wieder trocken. Er kann mich wieder anschauen.
    »Ich war nur drei Tage in Neapel, hab ein paar Freunde getroffen«, sagt er und piekt ein Stück Currywurst auf. »Dann war ich bei meiner Familie. Ich wollte eigentlich nur zum Mittagessen hinfahren. Aber dann bin ich doch dageblieben.«
    Ich meine, die Verwandten vom Calabretta wohnen in gefährlicher Nähe zum Vesuv.
    »Die wohnen am Vulkan, oder?«, frage ich.
    »Richtig«, sagt er. »In einem kleinen Dorf. Da wächst der Wein von den Dächern, und es riecht den ganzen Tag nach Muschelsoße.«
    »Ist das nicht ein bisschen gefährlich«, sage ich, »so nah am Vesuv zu wohnen?«
    »Wenn der Vesuv ausbricht, explodiert er«, sagt der Calabretta. »Da ist das völlig egal, ob man neben dem Krater sitzt

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