Knecht – Die Schattenherren II
zum Bauch und hatte auch im tiefen Schnee kein Problem gehabt, Schritt zu halten. Im Gegenteil, es schien Sutor Freude zu machen, sich mit den Pferden zu messen. In ihm war viel von einem Wolf. Seine Nase war gut, sein Gebiss kräftig. Zusätzlich trug er ein Halsband und ein Geschirr mit langen Stacheln. Es hatte einige Zeit gebraucht, es so anzupassen, dass er sich nicht selbst daran verletzte.
Von der Erhebung aus war Karat-Dor gut zu überblicken. Die auf einem Hügel errichtete Kathedrale dominierte die Stadt. Man nannte sie den ›Schwarzen Stern‹ wegen der sieben Zacken, die ihre Form bestimmten. Auf sechs der Spitzen standen überlebensgroße Statuen der Schattenherzöge, auch eine von Lisanne-die-nicht-genannt-werden-darf. Auf der Reise hatte Velon Bren berichtet, dass Gadior, dessen Bildnis auf der siebten Zacke stand, nachgefragt hatte, ob er sie ersetzen sollte. Soweit Velon wusste, war nie eine Antwort aus Orgait gekommen. Im leicht abgesenkten Zentrum des Baus erhob sich ein wahrer Koloss. ELIEN VITAN , der SCHATTENKÖNIG , aus Obsidianblöcken geschlagen. Bren fragte sich, wie dieses Bildnis ausgetauscht würde, wenn erst ELIENS Nachfolger auf dem Thron säße, aber seine Vorstellungskraft versagte vor der Aufgabe, sich einen Lastkran auszumalen, der hoch genug war und zudem ein solches Gewicht bewegen konnte. Die einzige Möglichkeit schien darin zu bestehen, das Standbild in Kleinarbeit abzutragen und ein neues an seiner Stelle zu errichten. Das wiederum mochte durchaus Schwierigkeiten mit den Kultoberen geben, denn ganz gleich ob ELIEN in der Burg der Alten ruhte oder auf dem Thron von Orgait saß, blieb ER ein SCHATTENKÖNIG . Für jemanden, der das Bildnis eines SCHATTENKÖNIGS beschädigte, war der Tod unter der Henkeraxt eine Strafe, die nur ein milder Richter verhängte.
Die Schattenrosse zogen den Schlitten neben der Straße. Dort war die Schneedecke noch einigermaßen erhalten. Das bedeutete, dass die Wachschwadron ebenfalls neben dem Weg reiten musste. Die Pferde sanken bis zur Brust in den feuchten Schnee. Eine letzte Anstrengung vor der Stadt.
Kurz bevor der Schlitten das Tor erreichte, ließ Bren seinen Hengst antraben. Er ritt direkt zum Kathedralhügel hinauf, wodurch er den Grafenpalast rechter Hand liegen ließ.
Die Gebäude auf dem Hügel waren mit vielen Vorsprüngen und Winkeln versehen, deren Sinn nicht darin lag, Wohnraum zu schaffen. Noch nicht einmal Lagerfläche stellten sie bereit. Sie sollten Schatten werfen, komplexe, sich überschneidende, im Tagesverlauf wandernde Flächen der Dunkelheit, in denen sich nach der Überzeugung des einfachen Volkes Geister vor dem Licht der Sonne verbargen. Wie es meist bei Aberglaube der Fall war, lag auch hierin ein wahrer Kern. Bren vermutete keine Wesenheiten aus dem Nebelland beim Versteckspiel, aber der Hügel wimmelte nur so von Klerikern, deren Seelen sicher ebenso dunkel waren wie die eines verfluchten Geistes. Als er sie nach Jittara fragte, wiesen sie ihm den Weg zum Schwarzen Stern.
Er brauchte nicht lange, um sie zu finden. Die Nachtsucherin stand in einer Gruppe Adepten, vermutlich jenen, die heute zu Seelenbrechern werden sollten. Sie spielten mit jungen Hunden. Bren sprang aus dem Sattel und warf einem seiner Begleiter die Zügel zu. Sutor lief neben ihm her, als er zu der Gruppe ging. Einer der Junghunde knurrte ihn an. Die Andeutung eines Zähnefletschens reichte aus, um ihn auf seinen Platz zu verweisen.
Jittara war auch auf Entfernung unverkennbar. Sie hielt ihren Zeremonialstab wie eine Standarte. Der Totenschädel an seiner Spitze war blank poliert, er schien zu leuchten. Er war so klein, dass sein früherer Besitzer die Pubertät noch nicht hatte erreicht haben können. Zudem wurde sie von zwei Gardisten begleitet, Männern in dunkelgrauen Kettenhemden. Diese Einheit diente selten an der Front, sie bildete auch kein geschlossenes Heer. Ihre Angehörigen waren die Leibwachender Osadroi und begleiteten diese überallhin. Auch die höchsten Ränge des Kults wurden von ihnen geschützt sowie einige wenige Stätten wie die Burg des SCHATTENKÖNIGS . Vielleicht gehörte auch die Kathedrale von Karat-Dor dazu.
Jedenfalls konnte man an den Gardisten in ihrer Begleitung und an dem Zeremonialstab sofort erkennen, wer Jittara war. Wenn man vor ihr stand, hätte es dieser Zeichen nicht bedurft. Ihr arroganter Blick allein, mit dem sie es irgendwie fertigbrachte, auf Bren herunterzuschauen, obwohl sie kleiner war als er,
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