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Knecht – Die Schattenherren II

Knecht – Die Schattenherren II

Titel: Knecht – Die Schattenherren II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Corvus
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die sich ein Mensch niemals gewöhnte. Die beiden Osadroi zeigten kein Unwohlsein, als das unnatürliche Seufzen durch die Fensteröffnung drang, aber Gadior bemerkte Brens Reaktion.
    »Ein Unhold«, erklärte er und trat neben ihn.
    Er wies nach Süden, wo das Tal wie eine Wunde lag, die eine gewaltige Axt zwischen die Hügel gekerbt hatte. In Wirklichkeit waren es die Mühen der Menschen gewesen, die hier das Silber aus der Erde gegraben hatten. Das lag etwa so lange zurück wie Brens Geburt. Guardaja war das letzte große Vorkommen des Mondmetalls gewesen, über das sich die Schatten gesenkt hatten. Seit dreißig Jahren verfolgte Ondrien mit seinen Kriegen kein bedeutendes Ziel mehr. Mit den Fayé verband die Schattenherren ein Friedenspakt, die Reiche der Menschen waren zahnlos. Der Hauptgrund, ab und zu eines von ihnen zu erobern, war Langeweile.
    »Du müsstest sie sehen können, die Nacht ist hell genug dafür.« Gadiors Arm war dünn, so wie seine ganze Gestalt. Er warein Jüngling gewesen, fast noch ein Kind, als er in die Schatten getreten war. Eineinhalb Jahrzehnte mochte er die Sonne gesehen haben, viel länger nicht.
    Er war weniger als halb so alt, wie ich es jetzt bin, durchzuckte es Bren.
    Man konnte ihm eine gewisse Schönheit nicht absprechen, auch wenn man andere Osadroi zum Vergleich heranzog. Sie alle waren schlank und teilten die vornehme Blässe, die der Adel in den meisten Reichen mit einem Hautpuder nachahmte. Das Besondere an Gadior war seine beinahe zerbrechliche Gestalt, neben der sogar Velon wuchtig wirkte. Außerdem war sein Haar sehr hell, aber nicht altersgrau wie bei dem Fürsten, sondern mit einem Blondstich versehen, der gerade eben ausreichte, um die Illusion zu erwecken, die Sonne hätte ihm als Abschiedsgruß einige Strahlen um den schönen Kopf gelegt.
    Brens Blick folgte dem deutenden Finger. Silion und Stygron standen als nahezu vollkommene Scheiben am wolkenlosen Himmel, was die Landschaft in silbrig rotes Licht tauchte. Man sah deutlich die Kerben in den Flanken des Tals, die Bren an die mit Basalt ausgebesserten Löcher in den Festungsmauern erinnerten. Aus den Minen hatte man das Silber in Form von Erz geholt, aus den Mauern als gegossene Barren, die das Eindringen übersinnlicher Kräfte hatten verhindern sollen, als die Festung noch ein Bollwerk gegen die Schatten gewesen war.
    Das Tal jedenfalls bot viele Grautöne auf, und einige Schatten, die dort geworfen wurden, waren tiefschwarz. Aber die Finsternis, die einigen huschenden Schemen zu eigen war, war schwärzer als schwarz. Zumindest glaubte das der menschliche Verstand, es war seine Art, zu deuten, was die Augen ihm zeigten. Vielleicht sahen die Osadroi die Finsternis anders.
    Gadior senkte die Hand. »Sie sind nicht immer unter Kontrolle zu halten. Manchmal gelüstet es einen von ihnen so sehr danach, eine Seele zu trinken, dass er für ein paar Nächte verschwindet, bis er ein Dorf findet, in dem er seinen Durst stillen kann.« Er lächelte dünn, als er sich zu Velon umdrehte. »Eine Zeit lang trieben sie es so schlimm, dass die Menschen beinahe froh waren, wenn sie hierhergeholt wurden, in die Festung. Sie wissen, dass die Unholde niemals hereinkämen. Dafür haben sie zu viel Respekt vor den Herren der Schatten.«
    Velon antwortete mit einem leisen, höflichen Lachen.
    Bren wandte sich vom Fenster ab und sah zu dem Mannhinüber, der mit demütig gesenktem Kopf in der Ecke stand, neben dem aus Frauenhaar geknüpften Wandteppich, dereine Wüstenlandschaft zeigte. Bren kannte die Sicheldünen, in denen die Arriek frei wie der Wind zogen, nur aus Erzählungen. Er fand es ironisch, dass dieser Mensch, der unfreier nicht hätte sein können, obwohl er keine Fesseln trug, ausgerechnet neben einem solchen Motiv stand. Bren hätte ihn auf vierzig Jahre geschätzt, wenn er nicht gewusst hätte, dass sich Gadior regelmäßig von ihm nährte. So war er vielleicht zwanzig Jahre jünger, vielleicht auch nur zehn. Er musste als kräftiger Mann nach Guardaja gekommen sein, wie seine Statur verriet. Sicher kein Krieger, aber jemand, der hart gearbeitet hatte. Ein Schmied mochte er gewesen sein. Velon bevorzugte junge Frauen, wie Bren nach ihrer Reise durch ein Dutzend Dörfer wusste, in denen er entsprechende Anweisungen erteilt hatte. Wenigstens nahm er in Maßen und verlangte selten nach Kindern. Soweit Bren einschätzen konnte, würde niemand einen dauerhaften Schaden behalten. Keinen körperlichen, jedenfalls. Wenn ein

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