Knochen im Kehricht: Ein Eifel-Krimi (German Edition)
schließlich mein Haus und meine Vorfahren betreffen, allein und über den Stand der Ermittlungen im Unklaren zu lassen. In diesem Fall dürfte er sehr wohl eine Ausnahme von seinem ehernen Gesetz des Schweigens machen. Weder ich noch die Menschen, die zu uns gehören, können aus biologischen Gründen etwas mit diesem Mord zu tun haben. Aber möglicherweise hält der Polizeiinspektor der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens den bislang gepflegten speziellen persönlichen Umgang mit der Tochter eines mutmaßlichen Mörders derzeit nicht für opportun. Das tut weh.
Als ich wenig später Nicolina schnattern und ein Auto in meinen Hof einfahren höre, hüpft mein Herz. Manchmal, denke ich, kann eine schroffe Abfuhr eine schnelle Anfahrt zustande bringen.
Leider sind es nur Hein und Jupp. Die beiden möchten sich abmelden.
»Wir haben ewig keinen Urlaub mehr gemacht«, sagt Hein.
»Wo wollt ihr denn hin?«, frage ich, als ich sie in meine Küche bitte und kurz zusammenzucke, weil mal wieder einer der belgischen Beamten mit einer Kiste die letzten Sprossen von der Leiter heruntergerutscht ist.
»Wie viel Zeug ist da oben bloß?«, fragt Hein verwundert.
Jupp und ich sehen einander an.
»Viel«, sagen wir gleichzeitig.
»Ich hätte früher ausmisten sollen.« Jupp starrt betreten auf die Spitzen seiner schwarzen Riesenschuhe.
»Das nimmt uns jetzt die Polizei ab«, sage ich. »Du solltest es positiv sehen. Wetten, dass wir alles schön geordnet zurückbekommen und eine Auflistung über jeden Stofffetzen kriegen?«
»Oh je«, sagt Jupp erleichtert. »Eine Scheißarbeit.«
»Während ihr Urlaub macht. Wo eigentlich?«
»Auf Mykonos.« Hein lächelt sehnsuchtsvoll. »Da haben wir vor sehr vielen Jahren mal tolle Wochen verbracht. Und jetzt wird’s Zeit, dass auch wir den armen Griechen mal unter die Arme greifen; fährt ja sonst niemand mehr hin. Ich weiß allerdings nicht, wie es Anfang Winter da so ist. Falls das Hotel keine Kohle für Öl hat, werde ich wenigstens warme Füße haben.« Er präsentiert mir seine neuen fellgefütterten Purpurstiefelchen.
Mir ist völlig klar, warum sich die beiden gerade jetzt so weit weg wie möglich verkrümeln wollen. Jupp, zwar körperlich der Mächtigste, aber ansonsten das Sensibelchen unserer kleinen Gemeinschaft, kann es nicht so einfach wegstecken, dass ausgerechnet er das Beweisstück für einen Mord auf der Kehr zutage gefördert hat. Das Verbrechen mag zwar lange zurückliegen, aber in ihm dürfte es Erinnerungen an aktuellere Gewalttaten geweckt haben. Ich verstehe sehr gut, dass er jetzt einen gewissen Abstand zu diesem mörderischen Ort braucht.
»An deinem Haus kann ich jetzt sowieso nicht weiterarbeiten«, erklärt er hastig. »Im Frühjahr werde ich mir das Dach vorholen und endlich die alten Stahlplatten wegmachen.«
Den letzten Teil des Satzes spricht er im Flüsterton. Er kann sich wohl noch gut an mein Entsetzen erinnern, als er mir von den Bunker-Stahlplatten erzählte, mit denen ein Teil meines Dachs geflickt worden ist. Wie auch so manches Gebäude auf deutscher Seite, das ebenfalls unmittelbar an Hitlers sogenanntem Westwall steht, in jenem Eifeler Grenzgebiet, das nach dem Krieg als Rote Zone galt. Dieser war damals von den Landesregierungen Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen Aufbauhilfe zugesagt worden, aber es blieb größtenteils bei dem Versprechen. Also mussten sich die Bewohner des malträtierten Landstrichs eben selbst helfen. Ohne den klammheimlich in Särgen, Kinderwagen und anderen Behältern über die Grenze gebrachten Kaffee aus Belgien wären Wiederaufbau und Überleben kaum möglich gewesen. Erst der Schmuggel ermöglichte den Anwohnern dieses von sämtlichen Regierungen vergessenen Ödlands, sich Vieh, Traktoren, Werkzeuge und Baustoffe anzuschaffen. Marcel zeigt mir auf unseren Ausflügen durch die Dörfer immer wieder solche Kaffeehäuser , wie er sie heute noch nennt. Oder Mokkakirchen , Gotteshäuser, die dem Schmuggel ihre Existenz verdanken.
Not machte auch in dieser Gegend sehr erfinderisch. Reinen trockenen Sand für den Hausbau gibt die Westeifel nicht her. Aber er war in Mengen von der Wehrmacht herangekarrt worden, um die Notausgänge der unzähligen Bunker entlang dem Westwall zu füllen. Nach dem Krieg konnten die Leute mit diesem Sand ihre Häuser bewerfen. Und später die zerschossenen Dächer mit den Stahlplatten der alten Bunker abdecken.
»Niete saß da an Niete. Unsere Großeltern haben die in monatelanger
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